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Karl Engisch:
individuellen Umstände werde aber mindestens die „Grundnorm“
verletzt, d. h. die Norm, daß „ein Rechtsgeschäft die Wirkungen
hat, die dem zum Ausdruck gebrachten Willen des Handelnden ent-
sprechen1.“ Womöglich noch weiter als Manigk geht Schwinge,
wenn er erklärt: „Genau genommen ist jeder Irrtum des Richters
in der Auslegung einer Gedankenäußerung Verletzung des Gesetzes,
denn er bewirkt(!), daß auf das Rechtsverhältnis der falsche Rechts-
satz zur Anwendung kommt.“2 Aber das ist nun jene schon oben
abgelehnte Grenzverwischung zwischen Tatsachenfeststellung und
Rechtsanwendung, die mit unserem Problem nicht verwechselt wer-
den darf. Jede falsche Beweiswürdigung, mag sie sich noch so
zweifelsfrei um die Tatfrage als solche drehen, würde dann fehler-
hafte Rechtsanwendung bedeuten, weil ja das Recht nur auf die
richtig festgestellten Sachverhalte angewendet werden will. Im
übrigen ist in der gebotenen Kürze folgendes zu dem Problem zu
sagen: Selbstverständlich ist die Auslegung einer Erklärung auch
dann, wenn es sich um die Ergründung des subjektiven Sinnes han-
delt, nicht zu verwechseln mit dem Beweis dieser Sinnesrichtung
aus der Erklärung. Das hat schon Stein erkannt und wird mit
Recht auch von Mannheim und Manigk betont3. Zwar ist die Er-
klärung evtl, auch Indiz für ein dahinterstehendes factum inter-
num, aber sie ist jedenfalls nicht das einzige Indiz, häufig nur im
Zusammenhang mit anderen Indizien wirklich schlüssig und außer-
dem über ihre indizierende Funktion hinaus von Bedeutung als vom
Recht für erheblich erklärter Ausdruck des Willens. Denn das ist
wohl weiter richtig, daß es bei der Auslegung nicht nur darauf an-
kommt, zu erforschen, was sich der Äußernde gedacht hat, son-
dern auch inwiefern seine Gedanken in der Äußerung Ausdruck ge-
funden haben. Nur könnte man jetzt sehr wohl im Einklang mit
Beling sagen: Dieses Problem, wieweit der Wortlaut der Erklä-
rung die Meinung deckt, betrifft die Frage der Übereinstimmung
des subjektiven Sinnes mit einem sprachüblichen Sinn, also die
Frage der Kongruenz zwischen individueller Meinung und gewöhn-
licher Auffassung, und ist zu vergleichen mit dem Problem, wieweit
überhaupt eine konkrete Intention oder ein konkretes Verhalten
einem allgemeinen Brauch entspricht. Solche Untersuchungen
könnte man sehr wohl als auf Feststellung von Realitäten gerichtet
1 a.a.O. S. 190 und 186.
2 a.a.O. S. 169.
3 Stein S. 45, 130ff.; Mannheim S. 77; Manigk S. 165/66, 201 f.
Karl Engisch:
individuellen Umstände werde aber mindestens die „Grundnorm“
verletzt, d. h. die Norm, daß „ein Rechtsgeschäft die Wirkungen
hat, die dem zum Ausdruck gebrachten Willen des Handelnden ent-
sprechen1.“ Womöglich noch weiter als Manigk geht Schwinge,
wenn er erklärt: „Genau genommen ist jeder Irrtum des Richters
in der Auslegung einer Gedankenäußerung Verletzung des Gesetzes,
denn er bewirkt(!), daß auf das Rechtsverhältnis der falsche Rechts-
satz zur Anwendung kommt.“2 Aber das ist nun jene schon oben
abgelehnte Grenzverwischung zwischen Tatsachenfeststellung und
Rechtsanwendung, die mit unserem Problem nicht verwechselt wer-
den darf. Jede falsche Beweiswürdigung, mag sie sich noch so
zweifelsfrei um die Tatfrage als solche drehen, würde dann fehler-
hafte Rechtsanwendung bedeuten, weil ja das Recht nur auf die
richtig festgestellten Sachverhalte angewendet werden will. Im
übrigen ist in der gebotenen Kürze folgendes zu dem Problem zu
sagen: Selbstverständlich ist die Auslegung einer Erklärung auch
dann, wenn es sich um die Ergründung des subjektiven Sinnes han-
delt, nicht zu verwechseln mit dem Beweis dieser Sinnesrichtung
aus der Erklärung. Das hat schon Stein erkannt und wird mit
Recht auch von Mannheim und Manigk betont3. Zwar ist die Er-
klärung evtl, auch Indiz für ein dahinterstehendes factum inter-
num, aber sie ist jedenfalls nicht das einzige Indiz, häufig nur im
Zusammenhang mit anderen Indizien wirklich schlüssig und außer-
dem über ihre indizierende Funktion hinaus von Bedeutung als vom
Recht für erheblich erklärter Ausdruck des Willens. Denn das ist
wohl weiter richtig, daß es bei der Auslegung nicht nur darauf an-
kommt, zu erforschen, was sich der Äußernde gedacht hat, son-
dern auch inwiefern seine Gedanken in der Äußerung Ausdruck ge-
funden haben. Nur könnte man jetzt sehr wohl im Einklang mit
Beling sagen: Dieses Problem, wieweit der Wortlaut der Erklä-
rung die Meinung deckt, betrifft die Frage der Übereinstimmung
des subjektiven Sinnes mit einem sprachüblichen Sinn, also die
Frage der Kongruenz zwischen individueller Meinung und gewöhn-
licher Auffassung, und ist zu vergleichen mit dem Problem, wieweit
überhaupt eine konkrete Intention oder ein konkretes Verhalten
einem allgemeinen Brauch entspricht. Solche Untersuchungen
könnte man sehr wohl als auf Feststellung von Realitäten gerichtet
1 a.a.O. S. 190 und 186.
2 a.a.O. S. 169.
3 Stein S. 45, 130ff.; Mannheim S. 77; Manigk S. 165/66, 201 f.