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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1960, 1. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung — Heidelberg, 1960

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https://doi.org/10.11588/diglit.42461#0126
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116

Karl Engisch:

wieweit es sich um Fragen des Einzelfalles handelt (siehe S. 112ff.,
insbes. S. 118f., 126; gute Beispiele S. 126ff., 129ff.). Die Fragen
z. B., ob sich jemand i. S. des § 264a StGB, in „Not“ befunden
hat oder ob die Bezeichnung einer Person als ,,geheimrätlich“ oder
einer Entscheidung als „vom grünen Tisch“ erlassen beleidigend
ist, sind Fragen, bei denen sich Tat- und Bechtsfrage logisch eng
verschlingen, praktisch juristisch aber sind sie Fragen des „Einzel-
falls“ und daher irrevisibel (S. 127h)1. Aber nicht einmal alles,
was logisch gesehen reine Rechtsfrage ist, ist revisibel. Denn
neben revisiblen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung gibt
es „Rechtsfragen, die einmalig sind, ausschließlich in dem einzelnen
Prozeß eine Rolle spielen und nur für ihn entschieden werden“ und
daher irrevisibel sind (S. 55). Unter unseren Beispielen könnte man
hierher etwa zählen die Fragen, ob die Herabminderung der Seh-
schärfe auf 1/50 dem Verlust des Sehvermögens gleichzuachten ist
(EntschStr. 71, S. 119/20) oder ob ein den üblichen Zinsfuß über-
schreitender Zins für ein bestimmtes Darlehen „nach den Umstän-
den des Falles“(!) wucherisch ist (vgl. EntschStr. 4, S. 392: „Die
vorgeschriebene Berücksichtigung des Einzelfalles und die Fest-
stellung eines 'auffallenden’ Mißverhältnisses kann eben nur auf
Grund der konkreten tatsächlichen Verhältnisse erfolgen“). Nur
soweit an den Entscheidungen in diesen Beispielsfällen grundsätz-
liche rechtliche Erwägungen beteiligt sind, wie z. B. ob überhaupt
die Herabminderung des Sehvermögens in stärkeren Graden dem
Verlust des Sehvermögens gleichzustellen ist und inwieweit bei der
Überschreitung des üblichen Zinsfußes das besondere Risiko des
Darleihers berücksichtigt werden darf,würde es sich vom Schwinge-
schem Standpunkt aus um revisible Bestandteile handeln. Erfah-
rungssätze und Denkgesetze spielen weitgehend bei der Beweis-
würdigung und der Tatsachenfeststellung eine Rolle2. Logisch ge-
sehen bedeutet dann ein Verstoß gegen sie einen Fehler bei der
Tatsachenfeststellung. Aber wegen der allgemeinen rechtsgrund-
sätzlichen Bedeutung gewisser Erfahrungssätze und Denkgesetze
1 Ebenso müßte man dann entscheiden für die Beispiele oben S. 102 ff. In-
soweit hat dann auch Mannheim praktisch recht mit seinen Ausführungen
S. 61 ff.
2 Vgl. oben S. 94 Anm. 1. Beispiel bei Schwinge S. 5 Abs. 2: Der Vor-
derrichter stellt im Widerspruch zu den Erfahrungen des täglichen Lebens fest,
daß einer Frau bei den Worten: „Sie ungeschliffener Mensch!“ das Bewußt-
sein einer rechtswidrigen Kränkung gefehlt habe. Siehe auch die Beispiele bei
Schwinge S. 193.
 
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