52 H. Hurten, Cusanus-Texte V. Brixener Dokumente • Erste Sammlung
unser Verfasser offensichtlich nicht zu eigen machen wollen. Zweimal hat
er solche Fragen derart umgeformt, daß jetzt über dieselben Gegenstände
völlig anderes erfragt wird (Fr. 22. 27). Einige Punkte seiner Vorlage
sind vollständig übergangen (s. Nr. IV Anm. 10. 14. 21. 24. 38. 4L 44).
Ihr Fehlen ist uns nur in einem Fall erklärlich, wo der Verfasser durch
Umwandlung einer Frage den Ansatz für die nächste verlor (Fr. 22 und
ebd. Anm. 10). Möglich, daß unser Autor die übrigen Fragen Gersons bei
seiner Arbeit übersehen hat, da sie auch sonst alle Zeichen der Flüchtigkeit
an sich trägt.
Der Text Gersons ist mit ziemlicher Freiheit behandelt. Wörtliche Zi-
tate sind sogar verhältnismäßig selten; die meisten Entlehnungen weichen
allerdings nur geringfügig — etwa durch ein „vel alias“ — von ihrer Vor-
lage ab. Die Wortstellung hat unser Autor oftmals geändert, passivische
Wendungen ins Aktiv gesetzt, Modus, Tempus und Numerus abgewandelt,
andere Ausdrücke verwendet oder gar Gersonsche Fragen ohne sachliche
Änderung völlig anders formuliert (Fr. 19. 52), wie es ihm gerade in die
Feder floß. Die vielen „Item“ Gersons hat er noch um einige vermehrt und
die Begründungen, die Gerson für manche seiner Fragen gab, gestrichen
(Nr. IV Anm. 2. 7. 19). Einige Fragen Gersons sind in einem besseren Zu-
sammenhang gebracht worden, doch wollte der Verfasser kaum seine Vor-
lage systematisieren. Literarischer Ehrgeiz lag ihm offensichtlich fern; die
sprachliche Form ist keineswegs glänzend. Mit noch größerem Recht als
Gerson hätte er sein Schema eine „rudis compilatio“ nennen können.
Die von unserem Verfasser in den Text Gersons eingeschobenen Fragen
bleiben zwar meist im Umkreis der von diesem angeschnittenen Unter-
suchungspunkte, doch tritt deutlich ein Interesse an der Einhaltung der
für die Führung des geistlichen Amtes gegebenen positiven Rechtsvor-
schriften und der Verwaltung des Kirchengutes hervor, das wir bei Ger-
son nicht finden.
Unter den materiellen Änderungen, die unser Autor an Gersons Visi-
tationsordnung vornahm, sind besonders die an den Verfahrensvorschriften
bedeutsam. Die Beteiligung von Laien hatte auch Gerson gewünscht; unser
Verfasser zieht sie aber nicht nur zur Untersuchung „super conditionibus
parochianorum“ heran, sondern hält sie schon zu Beginn der Visitation als
Zeugen zurück und läßt sie ebenso wie die beteiligten Geistlichen ver-
eidigen. Der Eid, den sie leisten, ist nicht der alte, von Regino her bekannte
Sendzeugeneid, dessen Verwendung uns noch durch die Freisinger Synode
von 1440 überliefert ist,25 sondern ein für das gerichtliche Untersuchungs-
verfahren vorgeschriebener Zeugeneid, der sich auf sämtliche Mängel mit
Ausnahme geheimer Vergehen bezieht, während der Sendzeugeneid sich
nur auf die „causae synodales“ richtet. Die zur Untersuchung herange-
25 Hartzheim V, 282.
unser Verfasser offensichtlich nicht zu eigen machen wollen. Zweimal hat
er solche Fragen derart umgeformt, daß jetzt über dieselben Gegenstände
völlig anderes erfragt wird (Fr. 22. 27). Einige Punkte seiner Vorlage
sind vollständig übergangen (s. Nr. IV Anm. 10. 14. 21. 24. 38. 4L 44).
Ihr Fehlen ist uns nur in einem Fall erklärlich, wo der Verfasser durch
Umwandlung einer Frage den Ansatz für die nächste verlor (Fr. 22 und
ebd. Anm. 10). Möglich, daß unser Autor die übrigen Fragen Gersons bei
seiner Arbeit übersehen hat, da sie auch sonst alle Zeichen der Flüchtigkeit
an sich trägt.
Der Text Gersons ist mit ziemlicher Freiheit behandelt. Wörtliche Zi-
tate sind sogar verhältnismäßig selten; die meisten Entlehnungen weichen
allerdings nur geringfügig — etwa durch ein „vel alias“ — von ihrer Vor-
lage ab. Die Wortstellung hat unser Autor oftmals geändert, passivische
Wendungen ins Aktiv gesetzt, Modus, Tempus und Numerus abgewandelt,
andere Ausdrücke verwendet oder gar Gersonsche Fragen ohne sachliche
Änderung völlig anders formuliert (Fr. 19. 52), wie es ihm gerade in die
Feder floß. Die vielen „Item“ Gersons hat er noch um einige vermehrt und
die Begründungen, die Gerson für manche seiner Fragen gab, gestrichen
(Nr. IV Anm. 2. 7. 19). Einige Fragen Gersons sind in einem besseren Zu-
sammenhang gebracht worden, doch wollte der Verfasser kaum seine Vor-
lage systematisieren. Literarischer Ehrgeiz lag ihm offensichtlich fern; die
sprachliche Form ist keineswegs glänzend. Mit noch größerem Recht als
Gerson hätte er sein Schema eine „rudis compilatio“ nennen können.
Die von unserem Verfasser in den Text Gersons eingeschobenen Fragen
bleiben zwar meist im Umkreis der von diesem angeschnittenen Unter-
suchungspunkte, doch tritt deutlich ein Interesse an der Einhaltung der
für die Führung des geistlichen Amtes gegebenen positiven Rechtsvor-
schriften und der Verwaltung des Kirchengutes hervor, das wir bei Ger-
son nicht finden.
Unter den materiellen Änderungen, die unser Autor an Gersons Visi-
tationsordnung vornahm, sind besonders die an den Verfahrensvorschriften
bedeutsam. Die Beteiligung von Laien hatte auch Gerson gewünscht; unser
Verfasser zieht sie aber nicht nur zur Untersuchung „super conditionibus
parochianorum“ heran, sondern hält sie schon zu Beginn der Visitation als
Zeugen zurück und läßt sie ebenso wie die beteiligten Geistlichen ver-
eidigen. Der Eid, den sie leisten, ist nicht der alte, von Regino her bekannte
Sendzeugeneid, dessen Verwendung uns noch durch die Freisinger Synode
von 1440 überliefert ist,25 sondern ein für das gerichtliche Untersuchungs-
verfahren vorgeschriebener Zeugeneid, der sich auf sämtliche Mängel mit
Ausnahme geheimer Vergehen bezieht, während der Sendzeugeneid sich
nur auf die „causae synodales“ richtet. Die zur Untersuchung herange-
25 Hartzheim V, 282.