34
Viktor Pöschl
mit der uralten griechischen Vorstellung des von den Göttern Beschützten,
deren Geschichte F. Dirlmeier in seiner Theophilia-Arbeit47 umrissen hat.
Freilich ist das Wunder der Meeresfahrt nicht als Wunder in einem realen
Sinn zu verstehen, sondern als Gleichnis, das dem heiteren Spiel dichteri-
scher Phantasie entspringt und sich der freien Heiterkeit einfügt, die über
den Schlußteil des Gedichts gebreitet ist. So erweist das Musisch-Dichteri-
sche am Schlüsse der Ode seine verwandelnde Zauberkraft und erhebt sich,
obwohl als Grundelement der horazischen Welt nicht ausdrücklich ge-
nannt, zu mächtiger Gegenwart. Die Einladung an den Freund klingt aus
in einem bescheiden-stolzen Bekenntnis zum eigenen Bereich. In einer
Gelassenheit, die voll heiteren Verzichts ist, zieht sich der Dichter auf das
Unverlierbare zurück. Selbst die Freundschaft mit Maecenas, der der erste
Teil der Ode gewidmet ist, versinkt. In diskreter Verhüllung ist ange-
deutet, daß er seine Freiheit auch ihm gegenüber zu wahren weiß.
Zugleich aber endet das Gedicht in dem Bereich des Religiösen und
von göttlichem Glanze Erfüllten. Die beiden letzten Strophen stellen zwei
Formen des Verhaltens zur Gottheit in schroffen Kontrast: auf der einen
Seite die elende Angst vor der Macht der Götter, hinter der Gier und
Lebensangst stehen. Ihr gilt die Verachtung des Dichters und der unerbitt-
liche Kampf der Epikureer, weil sie das reine Bild der Gottheit und das
Glück der Menschen zerstört, die sich ihr in solcher Weise zuwenden48. In
der letzten Strophe aber tritt uns die Religion des „Götterfreundes“ Horaz
entgegen, seine persönliche Religion, möchte man fast sagen: der fromme
Glaube, daß der Bereich der Bescheidung, der Stille und des Glückes, den
er sich erwählt, von den Göttern gesegnet ist.
So beschließt in der Gestalt des geminus Pollux die segnende Gottheit
das Gedicht, dessen Flauptgegenstand das Thema „der Mensch und die
Mächte“ bildet. Sie schließt sich den anderen Aspekten der Gottheit an,
die im Verlauf der Ode erschienen sind: dem kleinen Lar der Armen, dem
Silvan der LIirtenwelt, dem epikureischen Gott, der über die Torheit des
Menschen lächelt, dem gewalttätigen Schicksalsgott, der launischen For-
tuna. So enthüllt das Gedicht, das auch in dieser Hinsicht ein kleiner Kos-
mos ist, eine überraschende Vielfalt von Manifestationen des Göttlichen.
Und daß die segnende Gottheit am Ende steht, in deren Schutz sich der
Dichter geborgen weiß, gibt dem harmonischen Ausklang des Gedichtes
(und der drei Odenbücher) Glanz und Würde.
Aber so persönlich diese Vorstellung des Göttlichen auch ist, so stimmt
47 Philol. 90, 1935, 57ff. 176ff. Auch die Wunderkraft des Orpheus (c. 1, 12, 7ff.)
und des Dichtergottes Dionysos (c. 2, 19, 9ff.) gehören dem ,heiligen' Bereich
des Dichters an, der durch seine Zauberkraft die Wirklichkeit zu verwandeln
vermag.
48 Vgl. Wolfg. Schmid, Götter und Menschen in der Theologie Epikurs, Rhein.
Mus. 94, 1951, 97ff.
Viktor Pöschl
mit der uralten griechischen Vorstellung des von den Göttern Beschützten,
deren Geschichte F. Dirlmeier in seiner Theophilia-Arbeit47 umrissen hat.
Freilich ist das Wunder der Meeresfahrt nicht als Wunder in einem realen
Sinn zu verstehen, sondern als Gleichnis, das dem heiteren Spiel dichteri-
scher Phantasie entspringt und sich der freien Heiterkeit einfügt, die über
den Schlußteil des Gedichts gebreitet ist. So erweist das Musisch-Dichteri-
sche am Schlüsse der Ode seine verwandelnde Zauberkraft und erhebt sich,
obwohl als Grundelement der horazischen Welt nicht ausdrücklich ge-
nannt, zu mächtiger Gegenwart. Die Einladung an den Freund klingt aus
in einem bescheiden-stolzen Bekenntnis zum eigenen Bereich. In einer
Gelassenheit, die voll heiteren Verzichts ist, zieht sich der Dichter auf das
Unverlierbare zurück. Selbst die Freundschaft mit Maecenas, der der erste
Teil der Ode gewidmet ist, versinkt. In diskreter Verhüllung ist ange-
deutet, daß er seine Freiheit auch ihm gegenüber zu wahren weiß.
Zugleich aber endet das Gedicht in dem Bereich des Religiösen und
von göttlichem Glanze Erfüllten. Die beiden letzten Strophen stellen zwei
Formen des Verhaltens zur Gottheit in schroffen Kontrast: auf der einen
Seite die elende Angst vor der Macht der Götter, hinter der Gier und
Lebensangst stehen. Ihr gilt die Verachtung des Dichters und der unerbitt-
liche Kampf der Epikureer, weil sie das reine Bild der Gottheit und das
Glück der Menschen zerstört, die sich ihr in solcher Weise zuwenden48. In
der letzten Strophe aber tritt uns die Religion des „Götterfreundes“ Horaz
entgegen, seine persönliche Religion, möchte man fast sagen: der fromme
Glaube, daß der Bereich der Bescheidung, der Stille und des Glückes, den
er sich erwählt, von den Göttern gesegnet ist.
So beschließt in der Gestalt des geminus Pollux die segnende Gottheit
das Gedicht, dessen Flauptgegenstand das Thema „der Mensch und die
Mächte“ bildet. Sie schließt sich den anderen Aspekten der Gottheit an,
die im Verlauf der Ode erschienen sind: dem kleinen Lar der Armen, dem
Silvan der LIirtenwelt, dem epikureischen Gott, der über die Torheit des
Menschen lächelt, dem gewalttätigen Schicksalsgott, der launischen For-
tuna. So enthüllt das Gedicht, das auch in dieser Hinsicht ein kleiner Kos-
mos ist, eine überraschende Vielfalt von Manifestationen des Göttlichen.
Und daß die segnende Gottheit am Ende steht, in deren Schutz sich der
Dichter geborgen weiß, gibt dem harmonischen Ausklang des Gedichtes
(und der drei Odenbücher) Glanz und Würde.
Aber so persönlich diese Vorstellung des Göttlichen auch ist, so stimmt
47 Philol. 90, 1935, 57ff. 176ff. Auch die Wunderkraft des Orpheus (c. 1, 12, 7ff.)
und des Dichtergottes Dionysos (c. 2, 19, 9ff.) gehören dem ,heiligen' Bereich
des Dichters an, der durch seine Zauberkraft die Wirklichkeit zu verwandeln
vermag.
48 Vgl. Wolfg. Schmid, Götter und Menschen in der Theologie Epikurs, Rhein.
Mus. 94, 1951, 97ff.