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Bornkamm, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1965, 1. Abhandlung): Luther als Schriftsteller: vorgelegt am 6. Juni 1964 — Heidelberg, 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.44206#0028
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Heinrich Bornkamm

Sinnen oder der Phantasie gesehen, für ihn gehört. So gewiß der
„Glaube aus dem Hören kommt“ (Röm. 10, 17 nach der Vulgata),
und die unanschaubare Wahrheit Gottes, der Erlösung und seines
Reiches nur aus seinem Wort vernommen werden kann, so gewiß
lebt der glaubende Mensch in der Wirklichkeit der Schöpfung und
der Geschichte. Luthers Bilder, zumal seine Naturbilder in ihrer Fülle
und Genauigkeit, ziehen sich wie ein cantus firmus des Lobpreises
Gottes durch seine Schriften. Die scharf gezeichneten, mahnenden,
schreckenden oder humorgeladenen Szenen des menschlich-geschicht-
lichen Lebens beschreiben ständig und unaufdringlich die Situation,
in der Gottes Wort den Menschen trifft; denn jede Weise des
Zusammenlebens von Mensch zu Mensch bedeutet zugleich eine ver-
borgene Begegnung mit Gott, seinem Gebot oder seiner Gnade31.
Der Drang zur Realität - der umfassende Grundzug in allen
Bereichen seines Denkens —, die Abwendung von jeder Art von
Abstraktion oder Allegorisierung bekundet sich wie in seiner Her-
meneutik, seinem Verständnis von Natur und Geschichte so auch in
seiner Bildsprache. Hier sind sein Wesen und seine Theologie un-
lösbar miteinander verbunden. Daraus ergibt sich auch, daß der
eigentliche Ausweis seines schriftstellerischen Könnens, sowohl nach
seinen Stilmitteln wie nach seiner Form, seine deutschen Schriften
sind32. Obwohl seine lateinischen längst eine Untersuchung ihrer
zu verstehen. Obwohl er selbstverständlich die Mitte seiner Theologie bildet,
ist seine Anschauung doch breiter angelegt. Sie beruht zugleich auch auf der
Wunderwelt der Schöpfung und der gottgeschaffenen Natur des Menschen, die
in der altkirchlichen Auffassung, in der viel platonisches Gut neben dem In-
karnationsgedanken erhalten bleibt, keine Bedeutung haben. Ich möchte darin
nicht mit H. v. Campenhausen eine Gefahr bei Luther sehen, „das Recht zum
Bilde wie eine fast zeitlose Grundordnung zu verstehen, die allem göttlichen
Handeln gemäß und allem menschlichen Leben notwendig ist“ (S. 406f.). Viel-
mehr wird auch hier die allenthalben wirksame Grundstruktur der Theologie
Luthers sichtbar, in der aus dem Christus- und Wortverständnis ein unbefan-
genes und unmittelbares Verhältnis zur Schöpfung freigesetzt wird.
31 Zur Bildsymbolik aus Natur und Geschichte vgl. auch mein Buch: Luthers gei-
stige Welt (4. Aull. 1960), 61ff. I85ff. 203ff. Eine unvergleichliche Beobach-
tungsgabe und Kenntnis zeigen seine zahlreichen Bilder aus dem Tierreich. Sie
sind - weit über Preuss S. 239-245 hinaus - in einer nachgelassenen, unge-
druckten Arbeit von Georg Buchwald „Luther und die Tierwelt“ gesammelt,
die ich in Abschrift besitze.
32 Auch hier erweist sich Erasmus wieder als der geistige Gegenspieler Luthers.
So wie er kein unmittelbares Verhältnis zur Natur und zur Geschichte hat, die
Bibel in seiner Auslegung allegorisch in höhere geistige Wahrheiten zu trans-
 
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