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Bornkamm, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1965, 1. Abhandlung): Luther als Schriftsteller: vorgelegt am 6. Juni 1964 — Heidelberg, 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.44206#0039
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Luther als Schriftsteller

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In der Wartburgpostille - nicht einer Sammlung gehaltener Pre-
digten, sondern für die Lektüre bestimmter Homilien die Luther
kaum zu Unrecht als sein bestes Buch bezeichnet hat, auch wenn er
sie später zu wortreich fand61, begegnet man einer Atmosphäre der
Ruhe, fast des Behagens, die mit keinem seiner sonstigen großen
Werke zu vergleichen ist. Liebevoll den Texten zugewandt, wird
seine Auslegung zugleich zum Spiegel seiner Gedanken und Be-
obachtungen in seiner Gefangenschaftszeit, von allen erdenkbaren
theologischen Fragen bis zur Entdeckung Amerikas oder reizend
ausgemalten Bildern aus dem Hühnerhof62. Für die ganze Postille
gilt, was er vom Weihnachtsevangelium (Luk. 2) sagt, man müsse
es mit einem stillen Herzen aufnehmen, „gleych wie die ßonne ynn
einem stillen wasser gar eben sich sehen lessit und kreftig wermet,
die ym rauschenden lauffenden wasser nit alßo gesehen werden mag,
auch nit alßo wermen kann63“. Ähnlich ineinander verschlungen sind
die biblische und die gegenwärtige Welt in dem aus der gleichen
Zeit stammenden Magnificat (Luk. 1, 46-55). Luthers Auslegung
des Lobgesangs der Maria ist nicht nur durchzogen von seiner Aus-
einandersetzung mit dem mittelalterlichen Demutsbegriff und der
übersteigerten Verehrung der auch von ihm innig geliebten Mutter
des Herrn, sondern auch von breiten Ausführungen über Gottes
Handeln in der Geschichte, über das Recht und seinen Gebrauch,
Obrigkeit, Bekennen und gewaltsame Verteidigung der Wahrheit,
Notwehr u. a.64. Diese Fragen greifen weit über die Verse des Textes
hinaus, an die er sie anknüpfen konnte, und bereiten spätere Schrif-
ten vor. Es sind die ihn bedrängenden Fragen aus der Zeit des
Wormser Reichstages 1521, der mitten in Luthers Niederschrift des
Magnificat fällt.
reformierte Ausleger, betrieben. Vgl. mein Buch: Luther und das Alte Testa-
ment (1948) 23. Zum geschichtlichen Interesse in Luthers Exegese ebenda S. 9ff.,
54ff„ 77f., 217ff.
61 23; 278, 13. Tisdir. 1; 488, 30.
62 Vgl. die Einleitung von Walther Köhler 10, I, 2; LXVIf.
63 10, I, 1; 62, 5ff.
64 Vgl. dazu Hermann Wolfgang Beyer, Gott und die Geschichte nach Luthers
Auslegung des Magnifikat. Lutherjahrbuch 21 (1939), 110-134. Wilhelm Mau-
rer, Von der Freiheit eines Christenmenschen (1949), 96ff. Auch hier weist
Maurer die literarischen Zusammenhänge mit den Operationes in Psalmos nach
(vgl. Anm. 51). Das Magnificat ist „als eine reife Frucht aus seiner Vorlesungs-
tätigkeit herausgewachsen“ (S. 130).
 
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