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Roland Hampe
daß in Thrakien ein Bothros, also eine Grube oder Höhle, war, aus
der die Winde hervorbrausten. Auch die Wohnung des Zephyros,
wo die versammelten Winde schmausen, wird man sich am ehesten
als Höhle vorzustellen haben. Denn aus der Erde dachte man sich die
Winde entstanden. Wenn Zephyros bei Aischylos im Agamemnon
(691) γίγας genannt wird, so nicht nur, weil er so mächtig und unge-
stüm war wie die Giganten, sondern weil die Winde wie die Gigan-
ten aus der Erde stammen10. Bei Windbeschwörungen erwartete man,
daß der zu beschwörende Gott oder Dämon, „die Winde aus der Erde
heraufschleudere“ (άναρρίπτει άνεμους εκ γης)11. Daß der Windgott
Boreas als chthonisches Wesen aufgefaßt wurde, zeigt auch seine
schlangenfüßige Gestalt auf der Kypseloslade (Paus. 5, 19, 1).
Homer unterscheidet freilich Winde (άνεμοι) und Sturmwinde
(θυέλλαι), die mit den Harpyien gleichgesetzt werden; und bei Hesiod
sind Notos, Boreas und Zephyros aus göttlichem Geschlecht, die
schlimmen Winde aber stammen von Typhon ab. Aber hier wird
wohl zu rational geschieden, was sich so reinlich nicht scheiden läßt.
Denn die Winde sind zugleich erdgebunden und himmlischer Na-
tur12. Bei Elomer haben die olympischen Gottheiten die Funktionen
der alten Windgötter und Winddämonen zum guten Teil übernom-
men. Zeus und Poseidon können Stürme senden; man opfert dem
Poseidon (3, 178) oder den Göttern (τοΐσι θεοΐσι 3, 159) vor einer
Seefahrt; Athena (2, 420), Apollon (I 479), Kalypso (5, 268) oder
Kirke (11, 6) senden günstigen Fahrwind; Athena hemmt (κατέδησε
5, 383) alle anderen Winde außer dem Boreas. Eine große Rolle muß
das Eingreifen der Götter durch ihre Macht über die Winde in den
Heimkehr-Epen (Νόστοι und Ατρειδών Κάθοδος) gespielt haben. Über
das Opfer der Atriden an die lesbische Trias Zeus-Hera-Dionysos
in den Gedichten der Sappho und des Alkaios wurde oben schon ge-
sprochen. Eindringlich schildert Alkaios in einem anderen Gedicht
(Lobel-Page 298), wie Athena den lokrischen Aias für seinen Frevel,
die Schändung der Kassandra, durch einen furchtbaren Sturm auf
dem Meer verfolgt13.
Diomedes stiftete einer ,Wind-Athena‘ (’A. Άνεμώτις) der Kult-
legende nach im messenischen Mothone einen Tempel, als schlimme
Winde das Land heimsuchten (Paus. 4, 35, 5). Solchen Göttern hat
10 Plin.,n.h. II 131. 114.
11 Berliner Zauberpapyros, Parthey 99 S. 122; Stengel, Opferbräuche 153. - Nach
Soph., Ant. 983 und Kallim., Delos-Hymnos 63 haust Boreas in einer Höhle.
12 Stengel 1900, 631. 13 Vgl. Eisenberger (oben Anm. 2) 65.
Roland Hampe
daß in Thrakien ein Bothros, also eine Grube oder Höhle, war, aus
der die Winde hervorbrausten. Auch die Wohnung des Zephyros,
wo die versammelten Winde schmausen, wird man sich am ehesten
als Höhle vorzustellen haben. Denn aus der Erde dachte man sich die
Winde entstanden. Wenn Zephyros bei Aischylos im Agamemnon
(691) γίγας genannt wird, so nicht nur, weil er so mächtig und unge-
stüm war wie die Giganten, sondern weil die Winde wie die Gigan-
ten aus der Erde stammen10. Bei Windbeschwörungen erwartete man,
daß der zu beschwörende Gott oder Dämon, „die Winde aus der Erde
heraufschleudere“ (άναρρίπτει άνεμους εκ γης)11. Daß der Windgott
Boreas als chthonisches Wesen aufgefaßt wurde, zeigt auch seine
schlangenfüßige Gestalt auf der Kypseloslade (Paus. 5, 19, 1).
Homer unterscheidet freilich Winde (άνεμοι) und Sturmwinde
(θυέλλαι), die mit den Harpyien gleichgesetzt werden; und bei Hesiod
sind Notos, Boreas und Zephyros aus göttlichem Geschlecht, die
schlimmen Winde aber stammen von Typhon ab. Aber hier wird
wohl zu rational geschieden, was sich so reinlich nicht scheiden läßt.
Denn die Winde sind zugleich erdgebunden und himmlischer Na-
tur12. Bei Elomer haben die olympischen Gottheiten die Funktionen
der alten Windgötter und Winddämonen zum guten Teil übernom-
men. Zeus und Poseidon können Stürme senden; man opfert dem
Poseidon (3, 178) oder den Göttern (τοΐσι θεοΐσι 3, 159) vor einer
Seefahrt; Athena (2, 420), Apollon (I 479), Kalypso (5, 268) oder
Kirke (11, 6) senden günstigen Fahrwind; Athena hemmt (κατέδησε
5, 383) alle anderen Winde außer dem Boreas. Eine große Rolle muß
das Eingreifen der Götter durch ihre Macht über die Winde in den
Heimkehr-Epen (Νόστοι und Ατρειδών Κάθοδος) gespielt haben. Über
das Opfer der Atriden an die lesbische Trias Zeus-Hera-Dionysos
in den Gedichten der Sappho und des Alkaios wurde oben schon ge-
sprochen. Eindringlich schildert Alkaios in einem anderen Gedicht
(Lobel-Page 298), wie Athena den lokrischen Aias für seinen Frevel,
die Schändung der Kassandra, durch einen furchtbaren Sturm auf
dem Meer verfolgt13.
Diomedes stiftete einer ,Wind-Athena‘ (’A. Άνεμώτις) der Kult-
legende nach im messenischen Mothone einen Tempel, als schlimme
Winde das Land heimsuchten (Paus. 4, 35, 5). Solchen Göttern hat
10 Plin.,n.h. II 131. 114.
11 Berliner Zauberpapyros, Parthey 99 S. 122; Stengel, Opferbräuche 153. - Nach
Soph., Ant. 983 und Kallim., Delos-Hymnos 63 haust Boreas in einer Höhle.
12 Stengel 1900, 631. 13 Vgl. Eisenberger (oben Anm. 2) 65.