Kult der Winde in Athen und Kreta
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das heißt, um das Dorf wurde ein magischer Kreis gezogen; man be-
festigte einen Faden an der Kirchentür und spannte ihn dann, rechts
herum um das ganze Dorf, natürlich ohne ihn zu zerschneiden oder
neu anzuknoten.
Einen weiteren Fall von Windzauber konnte ich selber noch wäh-
rend des Kretologischen Kongresses im Frühjahr 1966 aufnehmen.
Ich besuchte in Karoti im Kreise Rethymnon einen alten Pithostöpfer,
mit dem ich mich bei meinen Töpferstudien auf Kreta befreundet
hatte. Der Töpfer ist jetzt über 70 Jahre alt und arbeitet nicht mehr.
Er war der beste Pithostöpfer auf Kreta gewesen. Aber nicht nur
das. Ich stellte diesmal fest, daß er fast den ganzen Erotokritos aus-
wendig wußte. Als ich ihm erzählte, daß ich in Iraklion über den
,Kult der Winde‘ gesprochen habe, sagte er gleich: „Auch wir haben
noch einen solchen Brauch in unserem Dorf. Wenn der schlimme
Notos weht, dann gehen die Kinder von Haus zu Haus. Mit dem
πανιστί, einem Stock, wie ihn die Frauen im Backofen brauchen - er
ist vorne mit einem Lappen (πανί) umwickelt —, klopfen sie an die
Türen und betteln und sagen dazu das Sprüchlein:
Διακονίσετε τόν Νότον, τόν φτωχόν, τόν Κορονότον
Μή σας σπάση τά κουκιά σας καί τά σταρομιγαδά σας“.
Διακονίσετε bedeutet hier einen Armen, einen Bettler unterstützen.
Die Kinder betteln für den Notos, natürlich nicht um Geld, sondern
um etwas zu essen. Die Gefräßigkeit der Winde war schon im Alter-
tum sprichwörtlich bekannt41. Die σταρομίγαδα sind eine Mischung
von Weizen und Gerste, wie man sie für das Brot verwendet. Schwie-
riger ist die Ableitung des κορο- in Koronotos. Wahrscheinlich kommt
es von κόρος Junger Bursche‘ und ist euphemistisch aufzufassen42. So
übersetze ich:
Unterstützt den Notos, den armen Burschen Notos,
Damit er euch nicht eure Saubohnen verdirbt
Und nicht euer Brotgetreide.
41 Roscher, ML. I Sp. 194 s. v. Aiolos.
42 G. Rohlfs, den ich darüber befragte, gab mir folgende überzeugende Auskunft:
„An griech. Stämmen kommt für κορο- in Frage a) κόρος ,Ekel‘, b) κόρος jun-
ger Bursche“. Ich glaube, daß b) vorliegt, indem ich verweise auf die griech.
Familiennamen (Adressbuch Athen!) Κορογιαννάκης (sehr zahlreich aus Kreta!),
Κορομάντζος (neben Μάντζος), Κορομπίλης (neben Μπίλης), Κορομηλίδης
(neben Μηλίδης), Κορομηλάς (neben Μηλάς): der Sinn ist offenbar ,der junge,
frische παληκάρι“. Also euphemistische Abwehrformel.“
2 Hampe, Kult der Winde in Athen und Kreta
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das heißt, um das Dorf wurde ein magischer Kreis gezogen; man be-
festigte einen Faden an der Kirchentür und spannte ihn dann, rechts
herum um das ganze Dorf, natürlich ohne ihn zu zerschneiden oder
neu anzuknoten.
Einen weiteren Fall von Windzauber konnte ich selber noch wäh-
rend des Kretologischen Kongresses im Frühjahr 1966 aufnehmen.
Ich besuchte in Karoti im Kreise Rethymnon einen alten Pithostöpfer,
mit dem ich mich bei meinen Töpferstudien auf Kreta befreundet
hatte. Der Töpfer ist jetzt über 70 Jahre alt und arbeitet nicht mehr.
Er war der beste Pithostöpfer auf Kreta gewesen. Aber nicht nur
das. Ich stellte diesmal fest, daß er fast den ganzen Erotokritos aus-
wendig wußte. Als ich ihm erzählte, daß ich in Iraklion über den
,Kult der Winde‘ gesprochen habe, sagte er gleich: „Auch wir haben
noch einen solchen Brauch in unserem Dorf. Wenn der schlimme
Notos weht, dann gehen die Kinder von Haus zu Haus. Mit dem
πανιστί, einem Stock, wie ihn die Frauen im Backofen brauchen - er
ist vorne mit einem Lappen (πανί) umwickelt —, klopfen sie an die
Türen und betteln und sagen dazu das Sprüchlein:
Διακονίσετε τόν Νότον, τόν φτωχόν, τόν Κορονότον
Μή σας σπάση τά κουκιά σας καί τά σταρομιγαδά σας“.
Διακονίσετε bedeutet hier einen Armen, einen Bettler unterstützen.
Die Kinder betteln für den Notos, natürlich nicht um Geld, sondern
um etwas zu essen. Die Gefräßigkeit der Winde war schon im Alter-
tum sprichwörtlich bekannt41. Die σταρομίγαδα sind eine Mischung
von Weizen und Gerste, wie man sie für das Brot verwendet. Schwie-
riger ist die Ableitung des κορο- in Koronotos. Wahrscheinlich kommt
es von κόρος Junger Bursche‘ und ist euphemistisch aufzufassen42. So
übersetze ich:
Unterstützt den Notos, den armen Burschen Notos,
Damit er euch nicht eure Saubohnen verdirbt
Und nicht euer Brotgetreide.
41 Roscher, ML. I Sp. 194 s. v. Aiolos.
42 G. Rohlfs, den ich darüber befragte, gab mir folgende überzeugende Auskunft:
„An griech. Stämmen kommt für κορο- in Frage a) κόρος ,Ekel‘, b) κόρος jun-
ger Bursche“. Ich glaube, daß b) vorliegt, indem ich verweise auf die griech.
Familiennamen (Adressbuch Athen!) Κορογιαννάκης (sehr zahlreich aus Kreta!),
Κορομάντζος (neben Μάντζος), Κορομπίλης (neben Μπίλης), Κορομηλίδης
(neben Μηλίδης), Κορομηλάς (neben Μηλάς): der Sinn ist offenbar ,der junge,
frische παληκάρι“. Also euphemistische Abwehrformel.“
2 Hampe, Kult der Winde in Athen und Kreta