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Roland Hampe
Kultstätte einen so besonderen Charakter hat, daß sie auch einer be-
sonderen Erklärung bedarf (vgl. Anm. 43). Der Ort, wo sie gefun-
den wurde, wäre mit den topographischen Angaben bei Arrian über
die Lage des Heudanemos-Altares gut vereinbar (hier Taf. I; Taf.
IV 1). Unsere Hypothese ist also die: An dieser Stelle bestand ein
alter Windkult. Vielleicht hat man den Winden ursprünglich nur
Opferkuchen dargebracht, von der Art, wie man sie auch anderen
chthonischen Gottheiten opferte und wie sie für den Windkult in
Athen durch eine attische Inschrift bezeugt sind59. Seit dem 7. Jh.
wurde es üblich, an dieser Stätte auch bescheidene Votivgaben zu
weihen, wie sie in Resten von den Ausgräbern gefunden wurden.
Die alte Erdgrube wurde später mit einer steinernen Einfassung ver-
sehen, dem Ringaltar in seiner von uns angenommenen ursprüng-
lichen Lage, mit dem runden Mündungsrand nach oben (hier Taf. IV
2 links). Für diese Opfergrube wurden Lämmer und Ziegen in der
Art der έντομα oder σιράγια geschlachtet, so daß das Opferblut in die
Grube strömte. Im frühen 5. Jh., vermutlich 480 bei der Verwüstung
der Stadt und der Heiligtümer durch die Perser, wurde auch diese
Kultstätte zerstört. Sie wurde nicht wieder hergerichtet, vielleicht
weil ein anderer Windkult, der des Boreas am Ilissos, durch die Hilfe
dieses Gottes in den Perserkriegen, die Aufmerksamkeit auf sich zog.
Man verwendete die alten Werkstücke der Kultstätte, stülpte den al-
ten Ringaltar um (hier Taf. IV 2 rechts) und baute damit jenes merk-
würdige steinerne Verließ (Taf. II2) in dem man die Weihgaben zum
Teil barg, während man ein Opfer, etwa von Lamm und Ziege, dar-
brachte. Man verschloß das Verließ mit einem schweren Deckel, der
dicht einpaßte, und verklammerte ihn mit starken Eisenklammern —
wohl aus demselben Grunde, aus welchem Aiolos bei Homer seinen
Windsack so gut verschnürt ,,ϊνα μ ή τι παραπνεύση ολίγον περ“. Die
alte Kultstätte blieb in dieser Form noch lange Zeit sichtbar. Das
Auffallende an ihr war, daß sie, wie Arrian nach seiner Quelle an-
gibt, επί τοΰ δαπέδου lag. In späterer, unbestimmbarer Zeit60 wurde
sie - vielleicht, weil sie noch nicht tief unter, sondern nur im Erd-
boden lag - gewaltsam auf gebrochen und geplündert.
59 Άνέμοις πόπανον χοινικιαΐον δωδεκόνφαλον νηφάλιον. CIG. 523 = IG. III 77
= IG. II2 1367.
G0 Die Anlage wurde nach Thompson (153) „violently disturbed perhaps as early
as the 4th Century B. C. though the date cannot be fixed with precision“. „Nor
can we say whether this intrusion was accidental or deliberate, for we do not
know whether the spot had been marked in any way.“
Roland Hampe
Kultstätte einen so besonderen Charakter hat, daß sie auch einer be-
sonderen Erklärung bedarf (vgl. Anm. 43). Der Ort, wo sie gefun-
den wurde, wäre mit den topographischen Angaben bei Arrian über
die Lage des Heudanemos-Altares gut vereinbar (hier Taf. I; Taf.
IV 1). Unsere Hypothese ist also die: An dieser Stelle bestand ein
alter Windkult. Vielleicht hat man den Winden ursprünglich nur
Opferkuchen dargebracht, von der Art, wie man sie auch anderen
chthonischen Gottheiten opferte und wie sie für den Windkult in
Athen durch eine attische Inschrift bezeugt sind59. Seit dem 7. Jh.
wurde es üblich, an dieser Stätte auch bescheidene Votivgaben zu
weihen, wie sie in Resten von den Ausgräbern gefunden wurden.
Die alte Erdgrube wurde später mit einer steinernen Einfassung ver-
sehen, dem Ringaltar in seiner von uns angenommenen ursprüng-
lichen Lage, mit dem runden Mündungsrand nach oben (hier Taf. IV
2 links). Für diese Opfergrube wurden Lämmer und Ziegen in der
Art der έντομα oder σιράγια geschlachtet, so daß das Opferblut in die
Grube strömte. Im frühen 5. Jh., vermutlich 480 bei der Verwüstung
der Stadt und der Heiligtümer durch die Perser, wurde auch diese
Kultstätte zerstört. Sie wurde nicht wieder hergerichtet, vielleicht
weil ein anderer Windkult, der des Boreas am Ilissos, durch die Hilfe
dieses Gottes in den Perserkriegen, die Aufmerksamkeit auf sich zog.
Man verwendete die alten Werkstücke der Kultstätte, stülpte den al-
ten Ringaltar um (hier Taf. IV 2 rechts) und baute damit jenes merk-
würdige steinerne Verließ (Taf. II2) in dem man die Weihgaben zum
Teil barg, während man ein Opfer, etwa von Lamm und Ziege, dar-
brachte. Man verschloß das Verließ mit einem schweren Deckel, der
dicht einpaßte, und verklammerte ihn mit starken Eisenklammern —
wohl aus demselben Grunde, aus welchem Aiolos bei Homer seinen
Windsack so gut verschnürt ,,ϊνα μ ή τι παραπνεύση ολίγον περ“. Die
alte Kultstätte blieb in dieser Form noch lange Zeit sichtbar. Das
Auffallende an ihr war, daß sie, wie Arrian nach seiner Quelle an-
gibt, επί τοΰ δαπέδου lag. In späterer, unbestimmbarer Zeit60 wurde
sie - vielleicht, weil sie noch nicht tief unter, sondern nur im Erd-
boden lag - gewaltsam auf gebrochen und geplündert.
59 Άνέμοις πόπανον χοινικιαΐον δωδεκόνφαλον νηφάλιον. CIG. 523 = IG. III 77
= IG. II2 1367.
G0 Die Anlage wurde nach Thompson (153) „violently disturbed perhaps as early
as the 4th Century B. C. though the date cannot be fixed with precision“. „Nor
can we say whether this intrusion was accidental or deliberate, for we do not
know whether the spot had been marked in any way.“