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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1968, 3. Abhandlung): Ciceros Gebetshymnus an die Philosophie Tusculanen V 5: vorgetragen am 16. Dez. 1967 — Heidelberg, 1968

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https://doi.org/10.11588/diglit.44216#0014
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Hildebrecht Hommel

als dreißigjähriger Ehe geschiedenen ersten Frau Terentia, und der
jungen zweiten Gattin Publilia, von der er sich nach wenigen Mo-
naten ebenfalls wieder getrennt hatte. All dies, dazu der anhaltende
Druck der ihn von seinem Lebenselement, der politischen Betätigung,
fernhaltenden Bürgerkriege, wurde überschattet von dem zu An-
fang des Jahres erfolgten Tod der ihm so nah verbundenen Tochter.
Er war also ein schwer geschlagener, beinah gebrochener Mann4.
Kein Wunder daß er eines Trostes bedurfte, der ihn über diese Welt
des Jammers erhob. Am Anfang des 5. Tusculanenbuchs kommt die-
ses Verlangen mit andringender Gewalt über ihn, und wir staunen,
daß es nicht nur die übliche Klage über ein unheilvolles Schicksal war,
was sich hier Bahn brach, sondern dazu auch das Bedrängtsein vom
Gefühl eigener Unzulänglichkeit und Schuld: Tusc. V 3 Casus, in
quibus me fatum vehementer exercuit ... 5 culpae et ceterorum vi-
tiorum peccatorumque nostrorum5 omnis a philosophia petenda cor-
rectio est . . . his gravissimis casibus in . . . portum . . . magna iactati
tempestate confugimus5. Die Casus jortunae weiten sich also aus zu
den gravissimi Casus, in denen eigene5, ganz unmittelbar bedrückende
culpa, vitia, peccata mit eingeschlossen sind, und aus denen als ein-
zige Rettung in sicheren Hafen die Zuflucht zur Philosophie auf-
scheint. Die Sehnsucht nach Erlösung aus dieser Not und die auf-
keimende Gewißheit ihrer Erfüllung durch das Heilmittel philoso-

4 Zu all dem vgl. Μ. Gelzer, RE VII A 1948, Sp. 1018 ff. u. ö.
5 Während in § 1 (sensi ■ ■ ■ me) die Ichform in der Widmungsanrede an Brutus
vorherrscht, in § 2 (nobis . . . vereor . . . nobis) mit der 1. Person Pluralis wech-
selt (wobei Bescheidenheitsformel und Einschluß des Lesers sich die Waage
halten dürften), kehrt der § 3 (equidem . . . me . . . mecum . . . incipio . . . vereor}
zur 1. Person Singularis zurück. In § 4 vollzieht sich dann der Wechsel vom Ich
(otc ipse castigo . . . existumo) zum Wir (ex nostra fortasse mollitia — von
Gigon sowohl wie von Büchner noch richtig mit „meiner“ W. wiedergegeben),
das in 4 gg. E. wie in 5 allein das Feld behauptet. Daß das Wir hier eindeutig
und durchgehends auf Cicero selber zu beziehen ist (wiewohl es Weinreich,
Gigon, Büchner und andere mit „wir“ übersetzen), geht klar aus der Wendung
hervor cuius (seil, philosophiae) in sinum cum a primis temporibus aetatis
nostra voluntas studiumque nos compulisset, ... in eundern portum . . . con-
fugimus. Das ist für die Feststellung des persönlichen Charakters der ganzen
Aussage wie des folgenden Gebetshymnus (in dem das conNgi’wzws wieder-
kehrt) von größter Wichtigkeit. - Zum oben notierten Wechsel von Singular
und Plural allgemein vgl. die freilich sehr knappen Bemerkungen bei Hofmann-
Szantyr, Latein. Syntax und Stilistik 1965, S. 19 f. (Plur. sociativus, modestiae,
affectus); zu dem von Cicero nachher wieder aufgegebenen Bilde vom rettenden
Hafen vgl. Gg. Pfligersdorffer in: Speculum Historiale, 1965, S. 24 - auch 21
u. 31 - sowie Cic., De inv. I 4 unten S. 16.
 
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