Ciceros Gebetshymnus an die Philosophie
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que soll daran erinnern, daß Cicero von Jugend an (tz primis tem-
poribus aetatis, wie es kurz vor dem Einsetzen des Hymnus heißt)
sich von voluntas studiumque zur Philosophie hingezogen fand; es
will aber zugleich einprägen, daß jetzt in der Situation größter Schick-
salsnot22 und eigenen Versagens23 diese Göttin als letzte und einzige
Zuflucht erkannt und ergriffen ist24. Die Frage nach dem religiösen
Gehalt des Hymnus ist, von seinem Kernstück her, also damit eigent-
lich schon positiv und im Sinne von 0. Weinreich25 beantwortet: es
ist ein echt empfundenes Glaubenszeugnis eigener Art von spezifisch
philosophisch-weltanschaulicher Prägung, das die hergebrachten kul-
tischen, längst zu Metaphern erstarrten Formeln in seinen Dienst
nimmt und mit neuem Ethos füllt. Diese Diagnose wird sich uns
weiterhin bestätigen und vertiefen.
22 3 CÖ5M5, in quibus me fortuna vehementer exercuit; das unmittelbar Folgende
(incipio . . . humani generis imbecillitatem fragilitatemque extimescere') leitet
dann zum Bewußtsein eigener Unzulänglichkeit und Schuld über (s. die nächste
Anm.), das die andere Komponente jener Verzweiflung bildet.
23 5 huius culpae et ceterorum vitiorum peccatorumque nostrorum omnis a philo-
sophia petenda correctio est.
24 Ganz entsprechend auch Tuscul. III 13 sine philosophia . . . finem miseriarum
nullum fore. quam ob rem, quoniam coepimus, tradamus nos ei curandos (also
mit leicht verändertem Vergleichsbild: die Philosophie gewissermaßen als Heil-
göttin).
25 Siehe oben S. 9, Anm. 3.
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que soll daran erinnern, daß Cicero von Jugend an (tz primis tem-
poribus aetatis, wie es kurz vor dem Einsetzen des Hymnus heißt)
sich von voluntas studiumque zur Philosophie hingezogen fand; es
will aber zugleich einprägen, daß jetzt in der Situation größter Schick-
salsnot22 und eigenen Versagens23 diese Göttin als letzte und einzige
Zuflucht erkannt und ergriffen ist24. Die Frage nach dem religiösen
Gehalt des Hymnus ist, von seinem Kernstück her, also damit eigent-
lich schon positiv und im Sinne von 0. Weinreich25 beantwortet: es
ist ein echt empfundenes Glaubenszeugnis eigener Art von spezifisch
philosophisch-weltanschaulicher Prägung, das die hergebrachten kul-
tischen, längst zu Metaphern erstarrten Formeln in seinen Dienst
nimmt und mit neuem Ethos füllt. Diese Diagnose wird sich uns
weiterhin bestätigen und vertiefen.
22 3 CÖ5M5, in quibus me fortuna vehementer exercuit; das unmittelbar Folgende
(incipio . . . humani generis imbecillitatem fragilitatemque extimescere') leitet
dann zum Bewußtsein eigener Unzulänglichkeit und Schuld über (s. die nächste
Anm.), das die andere Komponente jener Verzweiflung bildet.
23 5 huius culpae et ceterorum vitiorum peccatorumque nostrorum omnis a philo-
sophia petenda correctio est.
24 Ganz entsprechend auch Tuscul. III 13 sine philosophia . . . finem miseriarum
nullum fore. quam ob rem, quoniam coepimus, tradamus nos ei curandos (also
mit leicht verändertem Vergleichsbild: die Philosophie gewissermaßen als Heil-
göttin).
25 Siehe oben S. 9, Anm. 3.