30
Hildebrecht Hommel
Platonreminiszenz liier aufgewiesen, die zudem auch - wie nach un-
serer Meinung die 'Sentenz’ (II C 1) - eine Stelle aus den platoni-
schen Nomoi betrifft. Und zwar bezieht sie sich bei Cicero auf eine
nicht minder wichtige Partie des Ganzen, nämlich den Eingang des
Hymnus (I). Da stellt das virtutis indagatrix unzweifelhaft eine
Jagdmetapher dar. Schon ältere Kommentare haben, wohl nach dem
Gedächtnis, weil ohne Stellenangabe, auf Wendungen hingewiesen
wie ή φιλοσοφία θήρα τής αλήθειας και δρεξις oder οί φιλόσοφοι θηρευτά!
τής αλήθειας. Geht man diesen Hinweisen nach, so findet sich ledig-
lich18 Aristoteles, Metaphysik K 6, 1063 a 14 δει γάρ . . . τάληθές
θηρεύειν. Aber Platon bietet wie gesagt eine schlagendere Parallele,
die bei näherem Zusehen nicht nur die Jagdmetapher deckt, sondern
die ganze Epiklese des Hymnus (I):
o vitae Philosophia dux,
o virtutis indagatrix expultrixque vitiorum
~ Platon, Nomoi V 728 C 9 - D 219 (ebenfalls in dem Prooimion des
Buches) ψυχής ούν άνθρώπω κτήμα ούκ εστιν ευφυέστερου εις τό φυγεΐν
μέν τό κακόν, ιχνεΰσαι δε καί έλεΐν τό πάντων άριστόν, καί έλόντα αύ κοινή
συνοικεϊν τον επίλοιπου βίου. 'Der Mensch besitzt nichts, was von
Natur aus besser geeignet wäre als seine Seele, um das Schlechte zu
fliehen, dagegen von allem das Beste aufzuspüren und zu ergreifen,
und wenn man es ergriffen hat, sich ihm für den Rest seines Lebens
in engster Gemeinschaft zu verbinden.’
Die Hauptelemente der Aussage sind hier a) das Vermeiden des
Schlechten, b) das Aufspüren und Ergreifen des Allerbesten, c) die
Aufnahme des dergestalt Ergriffenen ins eigene Leben zu blei-
bender enger Gemeinschaft - all das aufgefaßt als kostbare Naturan-
lage der menschlichen Seele. Bei Cicero wird bei engster Anlehnung
an das platonische Dreierschema die Veranlagung der Seele zu solch
philosophischer Lebenshaltung der personifizierten Philosophie sel-
18 Eine Identifikation der beiden angeführten Metaphernprägungen ist, auch mit
Hilfe von Konrad Gaiser und Wolfg. Haase, nicht gelungen. Ihrem Spürsinn
werden jedoch die folgenden Stellen aus Aristot., Metaphys. K und Platon,
Nomoi V verdankt.
19 G. J. Classen, Untersuchungen zu Platons Jagdbildern, 1960, S. 52 hält diese
und andere Stellen mit Jagdmetapher aus den Nomoi für zu wenig originell,
um auf sie einzugehen. So kommt er denn auch nicht auf die wichtige in dem
Satz sich findende Verbindung von ιχνεΰσαι und έλεΐν ('aufspüren’ und 'zu fas-
sen kriegen’) zu sprechen (S. 30 ist lediglich von vorplatonischem λαμβάνειν u.
dgl. die Rede).
Hildebrecht Hommel
Platonreminiszenz liier aufgewiesen, die zudem auch - wie nach un-
serer Meinung die 'Sentenz’ (II C 1) - eine Stelle aus den platoni-
schen Nomoi betrifft. Und zwar bezieht sie sich bei Cicero auf eine
nicht minder wichtige Partie des Ganzen, nämlich den Eingang des
Hymnus (I). Da stellt das virtutis indagatrix unzweifelhaft eine
Jagdmetapher dar. Schon ältere Kommentare haben, wohl nach dem
Gedächtnis, weil ohne Stellenangabe, auf Wendungen hingewiesen
wie ή φιλοσοφία θήρα τής αλήθειας και δρεξις oder οί φιλόσοφοι θηρευτά!
τής αλήθειας. Geht man diesen Hinweisen nach, so findet sich ledig-
lich18 Aristoteles, Metaphysik K 6, 1063 a 14 δει γάρ . . . τάληθές
θηρεύειν. Aber Platon bietet wie gesagt eine schlagendere Parallele,
die bei näherem Zusehen nicht nur die Jagdmetapher deckt, sondern
die ganze Epiklese des Hymnus (I):
o vitae Philosophia dux,
o virtutis indagatrix expultrixque vitiorum
~ Platon, Nomoi V 728 C 9 - D 219 (ebenfalls in dem Prooimion des
Buches) ψυχής ούν άνθρώπω κτήμα ούκ εστιν ευφυέστερου εις τό φυγεΐν
μέν τό κακόν, ιχνεΰσαι δε καί έλεΐν τό πάντων άριστόν, καί έλόντα αύ κοινή
συνοικεϊν τον επίλοιπου βίου. 'Der Mensch besitzt nichts, was von
Natur aus besser geeignet wäre als seine Seele, um das Schlechte zu
fliehen, dagegen von allem das Beste aufzuspüren und zu ergreifen,
und wenn man es ergriffen hat, sich ihm für den Rest seines Lebens
in engster Gemeinschaft zu verbinden.’
Die Hauptelemente der Aussage sind hier a) das Vermeiden des
Schlechten, b) das Aufspüren und Ergreifen des Allerbesten, c) die
Aufnahme des dergestalt Ergriffenen ins eigene Leben zu blei-
bender enger Gemeinschaft - all das aufgefaßt als kostbare Naturan-
lage der menschlichen Seele. Bei Cicero wird bei engster Anlehnung
an das platonische Dreierschema die Veranlagung der Seele zu solch
philosophischer Lebenshaltung der personifizierten Philosophie sel-
18 Eine Identifikation der beiden angeführten Metaphernprägungen ist, auch mit
Hilfe von Konrad Gaiser und Wolfg. Haase, nicht gelungen. Ihrem Spürsinn
werden jedoch die folgenden Stellen aus Aristot., Metaphys. K und Platon,
Nomoi V verdankt.
19 G. J. Classen, Untersuchungen zu Platons Jagdbildern, 1960, S. 52 hält diese
und andere Stellen mit Jagdmetapher aus den Nomoi für zu wenig originell,
um auf sie einzugehen. So kommt er denn auch nicht auf die wichtige in dem
Satz sich findende Verbindung von ιχνεΰσαι und έλεΐν ('aufspüren’ und 'zu fas-
sen kriegen’) zu sprechen (S. 30 ist lediglich von vorplatonischem λαμβάνειν u.
dgl. die Rede).