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Hildebrecht Hommel
Umbiegung der Priamel von ihrem ursprünglich vorgezeichneten
Weg8.
661 A 4 - B 4 folgt nun, eingeleitet durch τά γάρ υπό των πολλών
λεγόμεν’ αγαθά ούκ δρθώ>ς λέγεται, λέγεται γάρ ώς . . ., eine weitere
Priamel, wie sie die Gegner wohl aufzustellen geneigt wären. Da-
bei verwendet Platon zunächst eine Reihe unter sich gleichwertiger
oder indifferenter Glieder von Höchstwertpriameln anderer, aber er
bedient sich dazu einleitend des bekannten, von ihm auch sonst mehr-
fach zitierten9 Skolions (Skol. anon. 7 D. = Anthol. Lyrica II 6 p.
18)10; er tut dies hier jedoch so, als seien auch die da genannten Werte
alle unter sich gleichrangig: άριστον μεν ύγιαίνειν, δεύτερον δε κάλλος,
τρίτον δέ πλούτος, μυρία δε άλλα αγαθά λέγεται. Die Weglassung der
Artikels vor δεύτερον δε und τρίτον δε und der Beisatz μυρία δε άλλα . . .
machen bei ihm die Austauschbarkeit der Glieder augenfällig11. Wei-
ter heißt es dann (661 A 7ff.): καί γάρ οξύ δράν καί άκούειν καί πάντα
δσα έχεται των αισθήσεων εύαισθήτως εχειν, έτι δε καί τό ποιεΐν τυραν-
νοΰντα δτι άν έπιθυμή, καί τό δή τέλος άπάσης μακαριότητος είναι12 τό
πάντα ταΰτα κεκτημένον αθάνατον είναι γενόμενον δτι τάχιστα· 'So näm-
lich auch ein scharfes Gesicht und Gehör sowie ein feines Reagieren
in allem (sonst noch) zu den Sinnes Wahrnehmungen Gehörigen13,
ferner auch, als Gewaltherrscher zu tun was man begehrt; und der
Gipfel aller Glückseligkeit sei, im Besitz von alledem
8 Denn danach müßte es folgerichtig heißen: „während er bei ungerechtem Ver-
halten, auch wenn er blutiges Morden mit anzusehen vermöchte und den thraki-
schen Nordwind im Lauf zu besiegen verstünde etc. . . doch nicht der Erwäh-
nung wert wäre“. Kein Zweifel, die Form der Priamel wird vom Kritiker des
Tyrtaios im Eifer der Polemik gesprengt, wenn nicht auch hier bewußte Ironie
im Spiel ist.
9 Nomoi I 631 C 2 ff. ών ήγεϊται μεν ύγίεια . . ., τό δέ τρίτον . . . Gorgias 451 Ε
2 ff. . . . τό δέ δεύτερον . . . An diesen beiden Stellen ist die dreigliedrige Auf-
zählung entsprechend dem Skolion, deutlich differenzierend, als Antiklimax
verstanden, was durch die Zufügung des Artikels unterstrichen wird.
10 Dazu U. Schmid, a. 0. 107 ff.
11 Also ist im Gegensatz zu dei' herkömmlichen Wiedergabe zu übersetzen: „Als
ein bestes (wird genannt — s. ob. im Text) Gesundheit, als ein zweites Schönheit,
als ein drittes Reichtum, und unzählige andere Güter werden namhaft gemacht.“
12 Mit και τό δή τέλος . . . είναι setzt ein leicht auflösbares Anakoluth ein (nicht
registriert von Luise Reinhard, Die Anakoluthe bei Platon 1920).
13 „und daß man über alles in feinem Reagieren verfüge, was man an Sinnen
besitzt“, so übersetzt (weniger überzeugend wie mir scheint) mein Schüler H.
Μ. Lumpp.
Hildebrecht Hommel
Umbiegung der Priamel von ihrem ursprünglich vorgezeichneten
Weg8.
661 A 4 - B 4 folgt nun, eingeleitet durch τά γάρ υπό των πολλών
λεγόμεν’ αγαθά ούκ δρθώ>ς λέγεται, λέγεται γάρ ώς . . ., eine weitere
Priamel, wie sie die Gegner wohl aufzustellen geneigt wären. Da-
bei verwendet Platon zunächst eine Reihe unter sich gleichwertiger
oder indifferenter Glieder von Höchstwertpriameln anderer, aber er
bedient sich dazu einleitend des bekannten, von ihm auch sonst mehr-
fach zitierten9 Skolions (Skol. anon. 7 D. = Anthol. Lyrica II 6 p.
18)10; er tut dies hier jedoch so, als seien auch die da genannten Werte
alle unter sich gleichrangig: άριστον μεν ύγιαίνειν, δεύτερον δε κάλλος,
τρίτον δέ πλούτος, μυρία δε άλλα αγαθά λέγεται. Die Weglassung der
Artikels vor δεύτερον δε und τρίτον δε und der Beisatz μυρία δε άλλα . . .
machen bei ihm die Austauschbarkeit der Glieder augenfällig11. Wei-
ter heißt es dann (661 A 7ff.): καί γάρ οξύ δράν καί άκούειν καί πάντα
δσα έχεται των αισθήσεων εύαισθήτως εχειν, έτι δε καί τό ποιεΐν τυραν-
νοΰντα δτι άν έπιθυμή, καί τό δή τέλος άπάσης μακαριότητος είναι12 τό
πάντα ταΰτα κεκτημένον αθάνατον είναι γενόμενον δτι τάχιστα· 'So näm-
lich auch ein scharfes Gesicht und Gehör sowie ein feines Reagieren
in allem (sonst noch) zu den Sinnes Wahrnehmungen Gehörigen13,
ferner auch, als Gewaltherrscher zu tun was man begehrt; und der
Gipfel aller Glückseligkeit sei, im Besitz von alledem
8 Denn danach müßte es folgerichtig heißen: „während er bei ungerechtem Ver-
halten, auch wenn er blutiges Morden mit anzusehen vermöchte und den thraki-
schen Nordwind im Lauf zu besiegen verstünde etc. . . doch nicht der Erwäh-
nung wert wäre“. Kein Zweifel, die Form der Priamel wird vom Kritiker des
Tyrtaios im Eifer der Polemik gesprengt, wenn nicht auch hier bewußte Ironie
im Spiel ist.
9 Nomoi I 631 C 2 ff. ών ήγεϊται μεν ύγίεια . . ., τό δέ τρίτον . . . Gorgias 451 Ε
2 ff. . . . τό δέ δεύτερον . . . An diesen beiden Stellen ist die dreigliedrige Auf-
zählung entsprechend dem Skolion, deutlich differenzierend, als Antiklimax
verstanden, was durch die Zufügung des Artikels unterstrichen wird.
10 Dazu U. Schmid, a. 0. 107 ff.
11 Also ist im Gegensatz zu dei' herkömmlichen Wiedergabe zu übersetzen: „Als
ein bestes (wird genannt — s. ob. im Text) Gesundheit, als ein zweites Schönheit,
als ein drittes Reichtum, und unzählige andere Güter werden namhaft gemacht.“
12 Mit και τό δή τέλος . . . είναι setzt ein leicht auflösbares Anakoluth ein (nicht
registriert von Luise Reinhard, Die Anakoluthe bei Platon 1920).
13 „und daß man über alles in feinem Reagieren verfüge, was man an Sinnen
besitzt“, so übersetzt (weniger überzeugend wie mir scheint) mein Schüler H.
Μ. Lumpp.