Ciceros Gebetshymnus an die Philosophie
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Formulierung also in isolierter Betrachtung ohne Interesse, eine so
wichtige Funktion ihr auch im Zusammenhang des ganzen Abschnitts
zukommt, wie wir bereits sahen.
Soviel wird aus Platons Ausführungen - bei aller ihrer Bedeu-
tung für die Herkunft von Ciceros Sentenz - also deutlich, daß der
beim Römer wie in den anderen Zeugnissen des gleichen Typus II
durchwegs ausgeprägte Formelcharakter hier allenfalls keimhaft an-
gelegt ist, aber für die vollendete Form nicht das Vorbild abgegeben
haben kann. Hier mag also Wolfg. Schmids Vermutung von einer
gemeinstoischen Sentenz15 als Archetypus durchaus das Richtige tref-
fen. Nur daß eben Cicero daneben und darüber hinaus auf Platon
zurückgegriffen hat16, weil er entdeckte, daß der Inhalt der Sentenz
in einer ganz spezifischen und für sein eigenes Anliegen geradezu
existenziellen Ausprägung in jenem Abschnitt der Nomoi II bereits
vorgebildet war. Daß derartige Gedanken von einem ohne die Arete
(und also ohne die zu ihr hinführende Philosophie) nicht lebenswer-
ten Leben — die Gedanken, nicht notwendig auch schon ihre prä-
gnante Formulierung - in der großen Tradition der philosophischen
Protreptik stehen17, mag außerdem angemerkt werden, obwohl auch
hier Platon als der Quellgrund erscheint, der die Wasser sammelt,
und dem dann diese Tradition erst eigentlich entströmt. Es sieht doch
so aus, als hätte auch Cicero in unserem Falle mit seiner peccans im-
mortalitas aus diesem Quellgrund unmittelbar geschöpft18 und sich
nicht erst an verdünnte Rinnsale etwa stoischer Färbung zu halten
brauchen.
testiert, weil die Frage zur Erhellung des Formeltyps, dem Ciceros Sentenz zu-
gehört, nichts ausgibt. Aber es ist doch bemerkenswert, daß sich der von Rein-
hardt postulierte Typ der Formel hier in der Tat bei Platon vorgebildet findet,
daß die Frage also immerhin bereits antikem Denken nahelag.
15 Oben S. 27, vgl. Schmid, a. O. 21 ff. 30 ff. (bes. 31 ob.).
16 Platonische neben poseidonischen Anregungen hat man auch sonst in den Tus-
culanen nachweisen können; s. A. J. Kleijwegt, Philosophischer Gehalt und
persönliche Stellungnahme in Tusc. I 9-81. In: Mnemosyne IV 19. 1966, S. 359
-388.
17 Hinweis von Konr. Gaiser, der bes. an Apol. 38 A, Sympos. 215 E, Aristot.,
Protrept. fr. 10 c p. 42 Ross, Kleitophon 408 A/B, Politeia I 353 D erinnert.
Vgl. a. K. Gaiser, Protreptik und Paränese bei Platon . . . 1959, S. 108. 80 m.
Anm. 86. 143 Anm. 227. Auch Wolfg. Schmid, a. O. 25 f. findet - etwas allge-
meiner freilich daß der ganze Hymnus Ciceros „wie ein Protreptikos zur
Philosophie . . . wirken soll“.
18 Vgl. dazu bes. a. die oben S. 29 ff. gesammelten Indizien für direkte Platonbe-
nutzung in wesentlichen Teilen des ganzen Hymnus.
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Formulierung also in isolierter Betrachtung ohne Interesse, eine so
wichtige Funktion ihr auch im Zusammenhang des ganzen Abschnitts
zukommt, wie wir bereits sahen.
Soviel wird aus Platons Ausführungen - bei aller ihrer Bedeu-
tung für die Herkunft von Ciceros Sentenz - also deutlich, daß der
beim Römer wie in den anderen Zeugnissen des gleichen Typus II
durchwegs ausgeprägte Formelcharakter hier allenfalls keimhaft an-
gelegt ist, aber für die vollendete Form nicht das Vorbild abgegeben
haben kann. Hier mag also Wolfg. Schmids Vermutung von einer
gemeinstoischen Sentenz15 als Archetypus durchaus das Richtige tref-
fen. Nur daß eben Cicero daneben und darüber hinaus auf Platon
zurückgegriffen hat16, weil er entdeckte, daß der Inhalt der Sentenz
in einer ganz spezifischen und für sein eigenes Anliegen geradezu
existenziellen Ausprägung in jenem Abschnitt der Nomoi II bereits
vorgebildet war. Daß derartige Gedanken von einem ohne die Arete
(und also ohne die zu ihr hinführende Philosophie) nicht lebenswer-
ten Leben — die Gedanken, nicht notwendig auch schon ihre prä-
gnante Formulierung - in der großen Tradition der philosophischen
Protreptik stehen17, mag außerdem angemerkt werden, obwohl auch
hier Platon als der Quellgrund erscheint, der die Wasser sammelt,
und dem dann diese Tradition erst eigentlich entströmt. Es sieht doch
so aus, als hätte auch Cicero in unserem Falle mit seiner peccans im-
mortalitas aus diesem Quellgrund unmittelbar geschöpft18 und sich
nicht erst an verdünnte Rinnsale etwa stoischer Färbung zu halten
brauchen.
testiert, weil die Frage zur Erhellung des Formeltyps, dem Ciceros Sentenz zu-
gehört, nichts ausgibt. Aber es ist doch bemerkenswert, daß sich der von Rein-
hardt postulierte Typ der Formel hier in der Tat bei Platon vorgebildet findet,
daß die Frage also immerhin bereits antikem Denken nahelag.
15 Oben S. 27, vgl. Schmid, a. O. 21 ff. 30 ff. (bes. 31 ob.).
16 Platonische neben poseidonischen Anregungen hat man auch sonst in den Tus-
culanen nachweisen können; s. A. J. Kleijwegt, Philosophischer Gehalt und
persönliche Stellungnahme in Tusc. I 9-81. In: Mnemosyne IV 19. 1966, S. 359
-388.
17 Hinweis von Konr. Gaiser, der bes. an Apol. 38 A, Sympos. 215 E, Aristot.,
Protrept. fr. 10 c p. 42 Ross, Kleitophon 408 A/B, Politeia I 353 D erinnert.
Vgl. a. K. Gaiser, Protreptik und Paränese bei Platon . . . 1959, S. 108. 80 m.
Anm. 86. 143 Anm. 227. Auch Wolfg. Schmid, a. O. 25 f. findet - etwas allge-
meiner freilich daß der ganze Hymnus Ciceros „wie ein Protreptikos zur
Philosophie . . . wirken soll“.
18 Vgl. dazu bes. a. die oben S. 29 ff. gesammelten Indizien für direkte Platonbe-
nutzung in wesentlichen Teilen des ganzen Hymnus.