Ciceros Gebetshymnus an die Philosophie
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daß er seinen Anruf enden kann mit der rühmenden Feststellung,
sie habe ihm, ihm ganz persönlich, die Ruhe des Lebens geschenkt
und die Furcht vor dem Tode genommen.
Darauf wendet er sich in befreitem Aufatmen zu ihrer Apologie
(§ 6-11) und hat damit die Sphäre des Religiösen in neuem Ansatz
und spürbarem Wandel des Tones wieder verlassen. Hier fällt dann
auch (§ 11) schließlich mit besonderer Hervorhebung der Name Pla-
ton, dessen Spuren wir auch im Gebetshymnus bereits aufweisen
konnten.
Uns Nachgeborenen, von der Luft einer neuen Religion Um-
gebenen, fällt schon in der Hinführung zum Hymnus und zum Ge-
bet die oft fast christlich anmutende Haltung auf und ihre Umset-
zung ins Wort durch Cicero: die 'Furcht vor der Schwäche und Ge-
brechlichkeit des menschlichen Geschlechts’ (3), 'das weichliche Un-
vermögen zum Guten’ (4), 'die Angst und die Traurigkeit statt der
Erkenntnis und Verdammung des eigenen Irrtums’ (4), sowie das
Niedergedrücktsein durch 'Schuld, Verfehlungen und Sünden’ (5).
Weit davon entfernt, darin eine Hindeutung aufs Christentum er-
blicken zu wollen, stellen wir vielmehr auch hier wieder einmal fest,
einen wie gut vorbereiteten Boden für ihre Botschaft die neue Reli-
gion gefunden hat. Aber daß die Situation der Verzweiflung bei
Cicero bereits nach religiösem Ausdruck rang, das konnte schon frü-
hen Christen von gehobener Bildung nicht verborgen bleiben. So hat
denn auch der „christliche Cicero“ Lactanz2 die Einleitung des Hym-
nus bis zum Einsetzen des Gebets zitiert, freilich um dann den Ver-
fasser ernsthaft dafür zu tadeln, daß er sich an die falsche Adresse
der Philosophie gewandt habe anstatt an ihren Spender, den Schöpfer
alles Lebens.
Diese Einschränkung zu machen steht gewiß dem Christen zu3, sie
sollte aber für uns nicht bedeuten, den religiösen Ton zu verkennen
oder zu verkleinern4, der aus diesem eigenartigen Zeugnis klingt,
2 Lactanz, Divinae institutiones III 13, 13 ff. Vgl. darüber des Näheren O. Wein-
reich 1958.
3 Das Kriterium der Personalität, die das Christentum gern seinem Gott allein
vorbehält, was übrigens auch bei Lactanz anklingt, dürfte dabei nicht entschei-
dend sein, vielmehr die geistige, sittliche und praktische Überlegenheit des Got-
tesbegriffs. Auf weiterführende Literatur zu der Frage im Hinblick auf Cicero
verweist Wolfg. Schmid a. 0., Anm. 52 und 53.
4 Wie es zuletzt Wolfg. Schmid, a. 0. 32 m. Anm. 55 in Polemik gegen 0.
Weinreich getan hat, den wir vielmehr hier in allem Wesentlichen bestätigt
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daß er seinen Anruf enden kann mit der rühmenden Feststellung,
sie habe ihm, ihm ganz persönlich, die Ruhe des Lebens geschenkt
und die Furcht vor dem Tode genommen.
Darauf wendet er sich in befreitem Aufatmen zu ihrer Apologie
(§ 6-11) und hat damit die Sphäre des Religiösen in neuem Ansatz
und spürbarem Wandel des Tones wieder verlassen. Hier fällt dann
auch (§ 11) schließlich mit besonderer Hervorhebung der Name Pla-
ton, dessen Spuren wir auch im Gebetshymnus bereits aufweisen
konnten.
Uns Nachgeborenen, von der Luft einer neuen Religion Um-
gebenen, fällt schon in der Hinführung zum Hymnus und zum Ge-
bet die oft fast christlich anmutende Haltung auf und ihre Umset-
zung ins Wort durch Cicero: die 'Furcht vor der Schwäche und Ge-
brechlichkeit des menschlichen Geschlechts’ (3), 'das weichliche Un-
vermögen zum Guten’ (4), 'die Angst und die Traurigkeit statt der
Erkenntnis und Verdammung des eigenen Irrtums’ (4), sowie das
Niedergedrücktsein durch 'Schuld, Verfehlungen und Sünden’ (5).
Weit davon entfernt, darin eine Hindeutung aufs Christentum er-
blicken zu wollen, stellen wir vielmehr auch hier wieder einmal fest,
einen wie gut vorbereiteten Boden für ihre Botschaft die neue Reli-
gion gefunden hat. Aber daß die Situation der Verzweiflung bei
Cicero bereits nach religiösem Ausdruck rang, das konnte schon frü-
hen Christen von gehobener Bildung nicht verborgen bleiben. So hat
denn auch der „christliche Cicero“ Lactanz2 die Einleitung des Hym-
nus bis zum Einsetzen des Gebets zitiert, freilich um dann den Ver-
fasser ernsthaft dafür zu tadeln, daß er sich an die falsche Adresse
der Philosophie gewandt habe anstatt an ihren Spender, den Schöpfer
alles Lebens.
Diese Einschränkung zu machen steht gewiß dem Christen zu3, sie
sollte aber für uns nicht bedeuten, den religiösen Ton zu verkennen
oder zu verkleinern4, der aus diesem eigenartigen Zeugnis klingt,
2 Lactanz, Divinae institutiones III 13, 13 ff. Vgl. darüber des Näheren O. Wein-
reich 1958.
3 Das Kriterium der Personalität, die das Christentum gern seinem Gott allein
vorbehält, was übrigens auch bei Lactanz anklingt, dürfte dabei nicht entschei-
dend sein, vielmehr die geistige, sittliche und praktische Überlegenheit des Got-
tesbegriffs. Auf weiterführende Literatur zu der Frage im Hinblick auf Cicero
verweist Wolfg. Schmid a. 0., Anm. 52 und 53.
4 Wie es zuletzt Wolfg. Schmid, a. 0. 32 m. Anm. 55 in Polemik gegen 0.
Weinreich getan hat, den wir vielmehr hier in allem Wesentlichen bestätigt