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Erich Köhler
kriegerische Hybris Rolands für die Annahme des heidnischen Vor-
schlags (v. 228f.). Wieder schweigen, ohne daß dies ausdrücklich
vermerkt würde, der Kaiser und die Franken. Als dritter nimmt
Herzog Naimes Stellung im Sinne Ganelons und als Sprecher all de-
rer, die den schon sieben Jahre währenden Krieg beendet sehen
wollen: ceste grant guerre ne deit munter a plus (v. 242). Der Bei-
fall der Versammlung - Dient Franceis: «Ben ad parlet li dux » (v.
243) - bedeutet Beschluß, für den Kaiser verbindlich, so wie es zu-
vor die Billigung von Blancandrins Vorschlag durch die heidnischen
Barone für Marsilie war (vgl. v. 61). Hier wie dort enthält sich der
König jeder eigenen Meinungsäußerung. Wie es scheint, ist das Vo-
tum der Barone bindend, weil die Institution des conseil und dessen
Regeln in der Frage: Krieg oder Frieden dies erfordern, und nicht
nur deshalb, weil der Kaiser keine oder im Stillen dieselbe Meinung
hat. Das bedeutet freilich noch nicht, daß sein Schweigen nicht auch
taktisch begründet sein könnte.
Auf Karls Frage, wer mit der Gesandtschaft zum Hof Marsilies
beauftragt werden soll, bietet Naimes sich an, wird aber vom Kaiser
ziemlich barsch zurückgewiesen. Karl kann den weisen und loyalen
Ratgeber nicht entbehren. Als er seine Frage wiederholt, meldet sich
Roland. Die Ablehnung übernimmt diesmal Olivier, der den unbe-
sonnenen Freund für absolut ungeeignet hält und sich selber in Vor-
schlag bringt. Gewiß wäre Olivier, Repräsentant der sapientia im
Gegensatz zur fortitudo Rolands26, hervorragend geeignet für die
schwierige und gefährliche Aufgabe, doch der Kaiser verbietet ihm
ebenso wie Roland jedes weitere Wort, noch bevor die Versamm-
lung sich äußern kann. Um anderen Freiwilligenmeldungen seiner
Getreuesten zuvorzukommen, schließt er kategorisch die zwölf Pairs
von der Wahl aus: Li doze par mar i serunt jugez (v. 262). Die Ver-
sammlung schweigt, betroffen, wie es scheint: Franceis se taisent, as
les vus aqu(e)isez (v. 263).
An dieser Stelle müssen wir einen Augenblick innehalten. Die
zwölf Pairs des Rolandslieds haben nichts, bzw. noch nichts, mit
den Pairs de France zu tun, die erst gegen Ende des 12. Jhs. als eine
politische und verfassungsrechtliche, sich ihrerseits allerdings an der
20 Siehe E. R. Curtius, Zur Literarästhetik des Mittelalters, II, Kap. 10: Rolands-
lied und epischer Stil, Zeitschr. f. roman. Philologie 58 (1938) S. 215ff.; Μ.
Delbouille, Sur la genese de la Chanson de Roland. Travaux recents - propo-
sitions nouvelles, Bruxelles 1954, S. 98ff.; S. Battaglia, II <compagnonaggio>
di Orlando e Oliviero, Filologia Romanza 5 (1958) S. 113ff.
Erich Köhler
kriegerische Hybris Rolands für die Annahme des heidnischen Vor-
schlags (v. 228f.). Wieder schweigen, ohne daß dies ausdrücklich
vermerkt würde, der Kaiser und die Franken. Als dritter nimmt
Herzog Naimes Stellung im Sinne Ganelons und als Sprecher all de-
rer, die den schon sieben Jahre währenden Krieg beendet sehen
wollen: ceste grant guerre ne deit munter a plus (v. 242). Der Bei-
fall der Versammlung - Dient Franceis: «Ben ad parlet li dux » (v.
243) - bedeutet Beschluß, für den Kaiser verbindlich, so wie es zu-
vor die Billigung von Blancandrins Vorschlag durch die heidnischen
Barone für Marsilie war (vgl. v. 61). Hier wie dort enthält sich der
König jeder eigenen Meinungsäußerung. Wie es scheint, ist das Vo-
tum der Barone bindend, weil die Institution des conseil und dessen
Regeln in der Frage: Krieg oder Frieden dies erfordern, und nicht
nur deshalb, weil der Kaiser keine oder im Stillen dieselbe Meinung
hat. Das bedeutet freilich noch nicht, daß sein Schweigen nicht auch
taktisch begründet sein könnte.
Auf Karls Frage, wer mit der Gesandtschaft zum Hof Marsilies
beauftragt werden soll, bietet Naimes sich an, wird aber vom Kaiser
ziemlich barsch zurückgewiesen. Karl kann den weisen und loyalen
Ratgeber nicht entbehren. Als er seine Frage wiederholt, meldet sich
Roland. Die Ablehnung übernimmt diesmal Olivier, der den unbe-
sonnenen Freund für absolut ungeeignet hält und sich selber in Vor-
schlag bringt. Gewiß wäre Olivier, Repräsentant der sapientia im
Gegensatz zur fortitudo Rolands26, hervorragend geeignet für die
schwierige und gefährliche Aufgabe, doch der Kaiser verbietet ihm
ebenso wie Roland jedes weitere Wort, noch bevor die Versamm-
lung sich äußern kann. Um anderen Freiwilligenmeldungen seiner
Getreuesten zuvorzukommen, schließt er kategorisch die zwölf Pairs
von der Wahl aus: Li doze par mar i serunt jugez (v. 262). Die Ver-
sammlung schweigt, betroffen, wie es scheint: Franceis se taisent, as
les vus aqu(e)isez (v. 263).
An dieser Stelle müssen wir einen Augenblick innehalten. Die
zwölf Pairs des Rolandslieds haben nichts, bzw. noch nichts, mit
den Pairs de France zu tun, die erst gegen Ende des 12. Jhs. als eine
politische und verfassungsrechtliche, sich ihrerseits allerdings an der
20 Siehe E. R. Curtius, Zur Literarästhetik des Mittelalters, II, Kap. 10: Rolands-
lied und epischer Stil, Zeitschr. f. roman. Philologie 58 (1938) S. 215ff.; Μ.
Delbouille, Sur la genese de la Chanson de Roland. Travaux recents - propo-
sitions nouvelles, Bruxelles 1954, S. 98ff.; S. Battaglia, II <compagnonaggio>
di Orlando e Oliviero, Filologia Romanza 5 (1958) S. 113ff.