Metadaten

Köhler, Erich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1968, 4. Abhandlung): "Conseil des barons" und "jugement des barons": epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen Rolandslied ; vorgetragen am 29. 6. 1968 — Heidelberg, 1968

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44217#0020
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
18

Erich Köhler

Karl unwirsch abgewiesen wird. Der Kaiser will die Wahl jetzt of-
fenbar in eine bestimmte Richtung lenken. Er engt den Kreis der
durch den Ausschluß Naimes’, der Pairs und Turpins bereits redu-
zierten Zahl der in Frage kommenden Barone in sehr entschiedener
Weise ein: «Car m eslisez un baron de ma marche» (v. 275)37. R.
Lejeune trifft sicherlich das Richtige, wenn sie den Text so deutet,
daß der Kaiser die Franken im engeren Sinn ausschließt - worin
ihn ja Turpin unterstützt hatte - indem er die Wahl auf die Barone
seiner Mark, genauer wahrscheinlich der spanischen Mark, lenkt38.
Da im Hinblick auf das karolingische Großreich, dessen Nachfolge
die kapetingischen Könige als reges Francorum noch lange bean-
spruchen, auch die Vasallen der Marken ebenso wie Turpin als
«Franken» gelten müssen, kann ihr Ausschluß aus dem Kreise der
Francs nur so verstanden werden, daß sie nicht zu den francs de
France, den Vasallen der franzischen Königsdomäne gehören, die
für den historischen Karl den Großen nicht existiert, die jedoch der
epische Karl aus machtpolitischen Gründen von der Gesandtschafts-
Ävahl ausnimmt39. In diesem Sinne ist Ganelon kein «Franke»40, son-
sa qualite d’homme d’eglise aux Francs de l’empereur, c’est-ä-dire a ses guer-
riers francs». Zwischen dieser Deutung R. Lejeunes und ihrer Annahme, daß
Ganelon kein «Franke» sei, bleibt freilich ein gewisser Widerspruch.
37 Mit Recht hat R. Lejeune (a. a. 0., S. 271) auf die Bedeutung des mit car ein-
geleiteten Imperativs an dieser Stelle aufmerksam gemacht und übersetzt:
«Ghoisissez-moi donc» ou «Choisissez-moi plutöt un baron de ma region fron-
tiere».
38 A.a.O. S. 271.
38 Die Verwendung der Termini francs und franceis durch unseren Dichter ist
eigentümlich ambivalent. Die Feststellung von Μ. Bloch (a. a. Ο. II, S. 235),
daß die Chanson de Roland «emploie encore indifferemment les deux formes»,
ist so richtig wie unpräzis. Richtig insofern, als francs wie franceis keineswegs
nach der bereits geläufigen Unterscheidung in die Franken des karolingischen
Reichs und in die «Franzosen» des westlichen Nachfolgestaates der Karolinger,
sondern meist synonym verwendet werden. Darauf hat Bedier (La Chanson
de Roland commentee, S. 512) mit Nachdruck aufmerksam gemacht. Es wäre
seltsam, wenn der Dichter mit einer Syonymität, die zwar von der Wortbildung
her noch erlebbar und ideell noch lebendig, tatsächlich aber unter dem Ein-
drude der politischen Tatbestände aufgegeben war, nicht eine besondere Ab-
sicht verbunden hätte. Der Dichter, der francs und franceis in der Ambivalenz
einer geschichtlich überholten, aber ideologisch gezielten Syonymität beläßt, so
wie auch das Wort France selbst, muß erst recht beim Wort genommen wer-
den wenn er präzisiert cels de France (v. 167) oder gar von den Francs de
Frajrce (v. 177) spricht. Drei Aspekte scheinen uns den mehrdeutigen Wort-
gebrauch zu erklären: 1) die Erinnerung an das karolingische Großreich, dessen
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften