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Köhler, Erich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1968, 4. Abhandlung): "Conseil des barons" und "jugement des barons": epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen Rolandslied ; vorgetragen am 29. 6. 1968 — Heidelberg, 1968

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https://doi.org/10.11588/diglit.44217#0021
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Conseil des barons» und «jugement des barons;

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dern einer jener Vasallen von der Peripherie des Reichs, deren Un-
tergang ob ihrer Renitenz und ihrer Autonomiegelüste den von ih-
nen praktisch entmachteten Königen des 11. Jahrhunderts geradezu
willkommen sein mußte.
Wir wollen dem Charlemagne des Rolandslieds nicht unterstel-
len, daß er mit seiner kategorischen Bestimmung «Car m eslisez un
baron cle ma marche» selber bereits Ganelon im Auge hatte. Als
daraufhin jedoch Roland seinen Stiefvater nennt und die Versamm-
lung diesen Vorschlag der bekannten Klugheit Ganelons wegen bil-
Nachfolge 2) vom westlichen Teilnachfolger, dem kapetingischen Königtum,
ebenso beansprucht wird wie vom östlichen, dem deutschen, sich aber 3) nur
auf die höchst reduzierte Machtbasis des Herzogtum Franzien stützen kann.
Bedier sieht sicherlich richtig, wenn er (a. a. 0., S. 512) konstatiert, daß auch
der engere Wortgebrauch des Rolandslieds «deborde d’ailleurs de beaucoup
les limites du domaine royal au XI® siede»; es kann dieser Sachverhalt jedoch
nur bedeuten, daß unser Dichter die «douce France» als eine staatliche und
politische Einheit begreift, auf die ein in seiner tatsächlichen Macht auf die Ile
de France angewiesener König mit einiger, durch die karolingischen Reichs-
teilungen legitimierten Aussicht sich berufen konnte. Für unsere obigen Über-
legungen ist es von Bedeutung, daß Rolands Tod zwar als Katastrophe für das
karolingische Großreich zum einen (vgl. die Klage des Kaisers v. 2916ff.) er-
scheint, die Auswirkungen - Regen, Hagel, Gewitter und Erdbeben — seines
und der maisnee Untergang aber unmittelbar nur die «kleinere» France be-
rühren (v. 1423ff.). Wie sehr der Dichter des Rolandslieds in der Erinnerung
an das Reich Karls des Großen auch immer ins Universale gedacht hat, er
konnte den darauf bezogenen Geltungsanspruch der Monarchie seiner Zeit und
seine eigene Vorstellung einer sich im Kampf gegen das Heidentum neu kon-
stituierenden ritterlichen Gesellschaft nur vom politischen Sendungsbewußtsein
und von der französischen Königsdomäne her beziehen. Das Nachfolgerecht
der Kapetinger wurde im 11. Jh. theoretisch von keinem Vasallen bestritten.
So konnte der ideelle Anspruch sich allmählich in einer Gestalt durchsetzen,
der zwar die realen Machtverhältnisse noch lange nicht entsprachen, die aber
doch ein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit erzeugte. In diesem Sinne stim-
men wir Μ. Waltz (a. a. 0., S. 128) zu: «Das französische Nationalgefühh im
Rolandslied ist nicht mehr und nicht weniger als der auf der religiösen Ebene
allgemein formulierte Ausdruck eines neuen regionalen Gemeinschaftsbewußt-
seins».
40 Vgl. R. Lejeune, a. a. O. «(si) Roland l’impulsif designe nommement son
parätre, Ganelon, c’est evidemment que ce dernier n’est pas un Franc, mais
un homme de la Marche». Nach R. Lejeune stammt Ganelon aus der spani-
schen Mark selbst — «une sorte de Goth, voire de Gascon.» Das über ihn und
seine Sippe vom Rolandsdichter verhängte Schicksal des Verräters und das Be-
dürfnis auch anderer Chansons-de-geste-Dichter, die «Franken» vom Odium
des Verrats zu befreien, ließ aus dem «Gascogner» Ganelon einen «Ganelon
l’Allemand» oder einen «Ganelon de Mayence» werden (R. Lejeune S. 272).

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