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Köhler, Erich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1968, 4. Abhandlung): "Conseil des barons" und "jugement des barons": epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen Rolandslied ; vorgetragen am 29. 6. 1968 — Heidelberg, 1968

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https://doi.org/10.11588/diglit.44217#0026
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Erich Köhler

Daraufhin meldet sich der junge Ritter Richier, der die Bedingungen
erfüllt:
Sui un chevalier.
N’ai oir ne fil, ne tiere a justicier.
Se si povre home i voles envoier ...» (v. 1781 ff.)
Die Chanson d" Aspremont freilich ist rund hundert Jahre jünger als
das Rolandslied. In der Regierungszeit Philipps II. August entstan-
den, spiegelt sie die Erstarkung der Monarchie und den kapetingi-
schen Karlskult wieder49. Der König erscheint nicht nur als gerecht
gegenüber seinen Großvasallen, sondern auch als souverän in der
Anwendung des Rechts. Wir dürfen in dieser Szene eine Replik auf
die Botschafterwahl des Rolandslieds sehen.
Dort ist der Beschluß der Versammlung unwiderruflich. Das Ver-
fahren selbst wird von Ganelon daher nicht in Frage gestellt. Sein
Zorn richtet sich nicht gegen das jugement als solches, sondern gegen
denjenigen, der es heraufbeschworen hat. Mehrmals bezichtigt er
Roland, der Urheber zu sein: «Si as juget qu a Marsiliun en alge»
(v. 288); auf Karls Wort «sur vos le jugent Franc» antwortet er:
«ςο ad tut fait Rollanz» (v. 322), und in seiner Verteidigungsrede
vor Gericht: «Rollant sis nies me coillit en haiir, / Si me jugcit a mort
et a dulur» (v. 3771E). Hier, als Angeklagter, nennt Ganelon die
Gründe und die Absicht, die er Roland unterstellte. In der Szene
der Gesandtenwahl selbst konnte er sie nicht zur Geltung bringen,
da nach der formalistischen mittelalterlichen Rechtsauffassung nur
das gesprochene Wort, nicht aber die dahinter verborgene Absicht
rechtswirksam ist. Eine Formulierung Beaumanoirs - On juge se-
lonc ce qui est dit et non pas selonc les ententions — als Ausgangs-
punkt nehmend hat H. Brunner diese Rechtsauffassung eindeutig
definiert: «Das Wort allein entscheidet, auch wenn die Dingleute
und der Gegner mit Bestimmtheit entnehmen können, daß und in-
wiefern das Gesagte nicht der Ausdruck des Gewollten ist»50. So
muß Ganelon die Begründung, die Roland für seinen Vorschlag,
Ganelon zu wählen gibt, nämlich, daß die Gesandtschaft einen wei-
sen, klugen Mann erfordere, als verbindliches «Wort» erkennen,
49 Vgl. dazu K.-H. Bender, König und Vasall. Untersuchungen zur Chanson de
Geste des XII. Jahrhunderts (Studia Romanica, 13. H. Heidelberg 1967, S.
123ff. und bes. 133ff.).
50 Wort und Form im altfranzösischen Prozeß, in: Forschungen zur Geschichte des
deutschen und französischen Rechts, S. 292. Zur Bedeutungslosigkeit der Ab-
sicht gegenüber der Gültigkeit des Worts s. Brunners Ausführungen S. 261 ff.
 
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