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Köhler, Erich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1968, 4. Abhandlung): "Conseil des barons" und "jugement des barons": epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen Rolandslied ; vorgetragen am 29. 6. 1968 — Heidelberg, 1968

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https://doi.org/10.11588/diglit.44217#0025
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Conseil des barons» und «jugement des barons;

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milie und Lehen verantwortlichen Großvasallen mit einer Aufgabe
zu betrauen, die nur wenig Überlebenschancen läßt, nicht nur von
Ganelon und seinem Anhang als Skandalon empfunden wird, dafür
legt die Chanson cl’Aspremont ein sehr bezeichnendes Zeugnis ab.
Auch in dieser Chanson de geste geht es um die Wahl eines Gesand-
ten zum Heidenkönig. Diesmal aber ersucht der Kaiser um frei-
willige Meldungen. Wenn er solche zunächst zurückweist, dann mit
dem ausdrücklichen Hinweis, daß kein Großvasall mit Lehensver-
antwortung, sondern nur ein besitz- und familienloser junger Ritter
in Betracht komme:
«Jo ne voel pas a paiens envoier
Haut home nul qui tiere ait a ballier,
Que ne l’ocient eil gloton paltonier» (v. 1767 ff.)48
Stiefvater in den Tod sendet? Ein direkter Hinweis für eine solche Vermutung
findet sich im Text nicht. Immerhin würde sie eine Erklärung hergeben für
Ganelons während des Prozesses gegen Roland geäußerten Vorwurf:
«Rollant (me) forfist en or et en aveir» {y. 3758).
Sogar Tierri d’Anjou, der Ganelon zum Tod verurteilt und die Vollstreckung
dieses Urteils durch den gottesgerichtlichen Zweikampf mit Pinabel erwirkt,
muß ein solches Vergehen Rolands einräumen:
Que que Rollant (a) Guenelun forsfesist,
Vostre servise l’en doilst bien guarir (v. 3827f.).
Ist es zu gewagt, diese Verse auf eine von Ganelon angenommene Absicht des
Stiefsohns zu beziehen und zu verstehen: «Roland wollte mich um Geld und
Gut bringen»? Zumindest aber muß angenommen werden, daß Roland den
Stiefvater einmal empfindlich in seinem Besitz geschädigt haben muß (vgl.
Pellegrini, a. a. O., S. 129, Anm. 19), so sehr, daß Ganelon Veranlassung hat,
das Schlimmste zu befürchten. Es wäre ja in der geschichtlichen Wirklichkeit
wie im Epos nicht das einzige Mal, daß der König das Lehen eines verstorbe-
nen Vasallen dessen minderjährigem Erben vorenthält und einem seiner Günst-
linge überträgt. Sämtliche Empörerepen enthalten dies als Zentralmotiv. Und
Ganelon ist überzeugt, daß Karl stets nach dem Wunsche seines geliebten Nef-
fen handelt: «Charles meismes fait tut a sun talent» (v. 400). - Wer unsere
Auffassung zu diesem Punkt nicht zu akzeptieren vermag, der sei darauf hin-
gewiesen, daß jedenfalls der mittelhochdeutsche Bearbeiter des Rolandslieds
sie teilte. Für den Ganelon des Ruolantes liet ist es ausgemacht, daß Roland
ihm die Gesandtschaft zuschanzt
daz ich under den beiden ersterbe
un ime daz erbe allez werde.
(Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, Hrsg, von C. Wesle, 2. Aull. bes. von
P. Wapnewski, Altdeutsche Textbibliothek Nr. 69, Tübingen 1967, v. 1386f.;
vgl. die verdeutlichenden vv. 1393ff. und 1442ff.).
48 La Chanson d’Aspremont, chanson de geste du XII® siede. Texte du manuscrit
de Wollaton Hall, ed. p. L. Brandin, Paris (CFMA) 1919-21.
 
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