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Erich Köhler
den ihm Karl reicht, zu Boden fallen läßt, und die Franken dies als
böses Omen deuten. Ganelon hat sich gefangen. Kalt antwortet er:
«Seignurs, . . . vos en orrez noveles», als hätte dieser Vorfall ihn des
Gelingens seiner Rache bereits versichert.
Mit der ihm eigenen Klugheit und - vom Dichter betonten56 —
Überlegtheit bewerkstelligt Ganelon in Saragossa den verräteri-
schen Pakt mit dem Heidenkönig, der ihn an Roland rächen soll. In
provozierender, das eigene Leben aufs Spiel setzender Form trägt
er Marsilie die demütigenden Bedingungen des Kaisers vor: zum
Christentum bekehrt soll Marsilie die Hälfte Spaniens als Lehen
von Karl empfangen, die andere Hälfte wird Roland zufallen57,
demselben überheblichen und kriegslüsternen Roland der, solange
er lebt, jeden echten Frieden verhindern wird. «Tcmt cum vivet sis
nies» (v. 544) wird Karl nicht müde werden, Krieg zu führen, «tant
cum vivet Rollant» (v. 557) wird er auf Eroberungen ausziehen.
Wer Roland tötet, beraubt den Kaiser seines rechten Armes, bricht
seinen großen Stolz und erwirkt dadurch den Frieden:
«Carles verrat sun grant orguill cadeir,
N’ avrat talent que ja mais vus guerreit. (v. 578 f.)
Chi purreit faire que Rolant i fust mort,
Dune perdreit Carles le destre braz del cors,
Si remeindreient les merveilluses oz,
N’asemblereit ja mais (Carles) si grant esforz,
Tere Major remeindreit en repos» (v. 596 ff.)58
Der Pakt wird geschlossen und von Ganelon bei den Reliquien
seines Schwertknaufs beschworen: Ganelon verpflichtet sich zu ver-
anlassen, daß Roland, die Pairs und 20 000 Franken die Nachhut des
nach Frankreich zurückkehrenden Heeres bilden. Marsilie wird sie
überfallen und vernichten. Ganelon ist des Erfolgs sicher, denn er
weiß, daß die Ernennung des Führers der Nachhut der gleichen for-
malrechtlichen Prozedur des conseil des barons unterliegt, dessen
Opfer er selber geworden war. Er kann gewiß sein, daß wenn er den
Stiefsohn vorschlägt, dieses Votum von der Versammlung gebilligt
56 Mais li quens Guenes se fut ben purpenset,
Par grant saveir cumencet a parier
Cume celui ki ben faire le set, (v. 425ff.).
57 Demi R] Espaigne vus dur [r] at il en fiet,
L’altre meitet avrat Rollant sis nies;
Mult orguillos i avrez parguner. (v. 472ff.).
58 Vgl. v. 391: Seit ki l’ociet, tute pais puis avr(i)umes.
Erich Köhler
den ihm Karl reicht, zu Boden fallen läßt, und die Franken dies als
böses Omen deuten. Ganelon hat sich gefangen. Kalt antwortet er:
«Seignurs, . . . vos en orrez noveles», als hätte dieser Vorfall ihn des
Gelingens seiner Rache bereits versichert.
Mit der ihm eigenen Klugheit und - vom Dichter betonten56 —
Überlegtheit bewerkstelligt Ganelon in Saragossa den verräteri-
schen Pakt mit dem Heidenkönig, der ihn an Roland rächen soll. In
provozierender, das eigene Leben aufs Spiel setzender Form trägt
er Marsilie die demütigenden Bedingungen des Kaisers vor: zum
Christentum bekehrt soll Marsilie die Hälfte Spaniens als Lehen
von Karl empfangen, die andere Hälfte wird Roland zufallen57,
demselben überheblichen und kriegslüsternen Roland der, solange
er lebt, jeden echten Frieden verhindern wird. «Tcmt cum vivet sis
nies» (v. 544) wird Karl nicht müde werden, Krieg zu führen, «tant
cum vivet Rollant» (v. 557) wird er auf Eroberungen ausziehen.
Wer Roland tötet, beraubt den Kaiser seines rechten Armes, bricht
seinen großen Stolz und erwirkt dadurch den Frieden:
«Carles verrat sun grant orguill cadeir,
N’ avrat talent que ja mais vus guerreit. (v. 578 f.)
Chi purreit faire que Rolant i fust mort,
Dune perdreit Carles le destre braz del cors,
Si remeindreient les merveilluses oz,
N’asemblereit ja mais (Carles) si grant esforz,
Tere Major remeindreit en repos» (v. 596 ff.)58
Der Pakt wird geschlossen und von Ganelon bei den Reliquien
seines Schwertknaufs beschworen: Ganelon verpflichtet sich zu ver-
anlassen, daß Roland, die Pairs und 20 000 Franken die Nachhut des
nach Frankreich zurückkehrenden Heeres bilden. Marsilie wird sie
überfallen und vernichten. Ganelon ist des Erfolgs sicher, denn er
weiß, daß die Ernennung des Führers der Nachhut der gleichen for-
malrechtlichen Prozedur des conseil des barons unterliegt, dessen
Opfer er selber geworden war. Er kann gewiß sein, daß wenn er den
Stiefsohn vorschlägt, dieses Votum von der Versammlung gebilligt
56 Mais li quens Guenes se fut ben purpenset,
Par grant saveir cumencet a parier
Cume celui ki ben faire le set, (v. 425ff.).
57 Demi R] Espaigne vus dur [r] at il en fiet,
L’altre meitet avrat Rollant sis nies;
Mult orguillos i avrez parguner. (v. 472ff.).
58 Vgl. v. 391: Seit ki l’ociet, tute pais puis avr(i)umes.