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Köhler, Erich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1968, 4. Abhandlung): "Conseil des barons" und "jugement des barons": epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen Rolandslied ; vorgetragen am 29. 6. 1968 — Heidelberg, 1968

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https://doi.org/10.11588/diglit.44217#0034
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Erich Köhler

sen74. Es steht jedoch fest, daß sich die Könige niemals, auch nicht in
der Phase ihrer größten politischen Ohnmacht im 11. Jahrhundert,
das feudale Prozeßrecht des jugement in ihrem conseil aufdrängen
ließen. Keines der rechtshistorischen Werke, deren wir habhaft wer-
den konnten, enthält den geringsten Hinweis auf eine solche Über-
tragung des judicium auf das consilium, sei es in Krieg oder Frie-
den. Alle kompetenten Kollegen, die ich persönlich konsultieren
konnte, halten sie für historisch völlig unwahrscheinlich wenn nicht
schlechthin unmöglich75.
Wir haben keinerlei Anlaß, an diesem Befund zu zweifeln. Was
der Dichter der Chanson de Roland seinem Publikum vorführt, ist
demnach buchstäblich unerhört, ist seine Erfindung: eine Kühnheit
zweifellos, und doch keine Willkür. Welcher Dichter - so dürfen wir
mit H. Mitteis fragen und antworten - hätte es in einer Zeit, da die
Menschen ebenso selbstverständlich im Recht leben wie in der Reli-
gion, «wagen können, das Recht falsch darzustellen»76. Wenn die
versammeln, bereits angefangen hatte, sich zu einer rechtlichen Beschränkung
des Königtums zu verdichten».
74 Vgl. Μ. Bloch, a. a. 0., S. 197: «Selon le code de bon gouvernement alors uni-
versellement admis, aucun chef, quel qu’il füt, ne pouvait rien decider de grave
sans avoir pris conseil . . . L’application plus ou moins stricte de la regle de-
pendait de la balance des forces».
75 Für bereitwillig gewährte Auskunft bin ich meinen Heidelberger Kollegen
Ahasver von Brandt, Siegfried Reicke, und besonders Karl Ferdinand Werner
(Mannheim) zu Dank verpflichtet. Wie mir letzterer versichert, ist historisch
kein einziger Fall nachzuweisen, in dem ein Kriegsrat oder eine Gesandten-
ernennung das Gerichtsverfahren bzw. das «judicium Francorum» übernimmt.
Im Rat entscheidet theoretisch allein der Herrscher nach Befragung der Ver-
sammlung, ohne deren Zustimmung er allerdings kaum handeln konnte. In
der Praxis operiert der Herrscher mit ihm ergebenen Gruppen, um seine Ziele
durchzusetzen. Unserer Auffassung, daß «judicium» und Kriegrat historisch
stets getrennt waren, scheint zu widersprechen, was E. Mayer, Die Pairs am
französischen Königsgericht (Mitteilungen des Instituts für Österreich. Ge-
schichtsforschung 32, 1911, S. 453) über das königliche Hofgericht sagt: »Nicht
nur auf die Rechtsprechung in unserem Sinn bezieht sich dabei die Funktion.
Denn jede Art der Ratserteilung wird von deutschen wie französischen Quellen
als ein Urteil gefaßt, an das der König gebunden ist. So wird das Schöffen-
kolleg zu einem Ratskolleg». Die Quellen, auf die Mayer sich bezieht, beschrän-
ken sich auf ganze zwei, und zwar literarische: die Chanson de Roland
und das von jener abhängige deutsche Ruolantes liet!
76 H. Mitteis, Recht und Dichtung, in: Die Rechtsidee in der Geschichte. Gesam-
melte Abhandlungen und Vorträge, Weimar 1957, S. 685: «Je weiter wir in
der Geschichte zurückgehen, umso treuer spiegelt die Dichtung das Recht, umso
wertvoller wird sie dem Rechtshistoriker als Erkenntnisquelle. In alten Zeiten
 
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