Conseil des barons» und «jugement des barons
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die Züge des zum christlichen Universalkaiser mythisierten karo-
lingischen Herrschers und ist als solcher zugleich Wunschbild eines
Königtums, das auch inmitten seiner tiefsten Ohnmacht die ver-
gangene Größe und den sich daraus ergebenden Anspruch nicht aus
den Augen verliert, den Bedingungen des gegenwärtigen Zustands
der Feudalgesellschaft jedoch Rechnung trägt.
Karl ist an das Rechtsverfahren des conseil gebunden. Wie v. 167
bezeugt {Par cels de France voelt il del tut errer) muß er ihm nicht
nur folgen, sondern er will es auch. Diese Bereitwilligkeit, an wel-
cher der karolingische Herrscher nur insofern Anteil hat, als er ihr
den Glanz vergangener Größe leiht, bezeichnet die Seite der Ideali-
tät des Königtums insofern, als sie die Anerkennung des geltenden
Lehnrechts (im Sinne einer Synthese von Herrenrecht und Vasallen-
recht) bedeutet, eine Anerkennung, die historisch wie literarisch
keineswegs als Selbstverständlichkeit erscheint. Diese Idealität nun
stellt sich nicht einfach dar als Gegensatz zur Realität, sie hat viel-
mehr diese letztere teilweise in sich aufgenommen. Denn die Bereit-
willigkeit Karls, sich dem jugement im conseil zu unterwerfen, er-
folgt im Vertrauen auf die Möglichkeit, das Verfahren seinen eige-
nen Interessen dienstbar zu machen. Das gelingt ihm vollkommen
in der ersten Ratsszene, bei der Wahl des Gesandten, in der zweiten
dagegen zeitigt die Anerkennung des Vasallenrechts katastrophale
Folgen. Ist der König dort Herr der Situation, so ist er hier ihr
Opfer. Dem Kaiser vorzuwerfen, er sei unbedacht, der Lage nicht
gewachsen oder hätte einen Anfall von Schwäche, hieße nun nichts
anderes, als den kapetingischen Königen des 11. Jhs. die politische
Machtlosigkeit als persönliche Unfähigkeit anzulasten.
In Wahrheit handelt Charlemagne nicht anders als jene Könige
und unter dem gleichen Zwang wie diese. Deren einzige Chance,
die sie mit erstaunlicher Konsequenz wahrnehmen, lag darin, sich
ihrerseits die Möglichkeiten des Lehnrechts zunutze zu machen und
dessen zunächst geringeres zentripetales Element gegen das bedroh-
liche zentrifugale zu mobilisieren. Mit H. Mitteis dürfen wir das
Lehnrecht als die «Notbrücke» ansehen, «auf der das Königtum über
den Abgrund des 11. Jahrhunderts in das 12. hinüberschritt, die
Zeit der inneren Konsolidation und der beginnenden Staatswer-
Rats en t s ch ei dung nur noch im Couronnement Louis und in Fierabras an-
zutreffen. Die späteren Epen beschränken die Beteiligung der Vasallen in sol-
chen Fällen auf das Rat geb en. Wir beziehen uns hier auf die Feststellungen
der oben Anm. 23 genannten Staatsexamensarbeit von A. Scharffenorth.
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die Züge des zum christlichen Universalkaiser mythisierten karo-
lingischen Herrschers und ist als solcher zugleich Wunschbild eines
Königtums, das auch inmitten seiner tiefsten Ohnmacht die ver-
gangene Größe und den sich daraus ergebenden Anspruch nicht aus
den Augen verliert, den Bedingungen des gegenwärtigen Zustands
der Feudalgesellschaft jedoch Rechnung trägt.
Karl ist an das Rechtsverfahren des conseil gebunden. Wie v. 167
bezeugt {Par cels de France voelt il del tut errer) muß er ihm nicht
nur folgen, sondern er will es auch. Diese Bereitwilligkeit, an wel-
cher der karolingische Herrscher nur insofern Anteil hat, als er ihr
den Glanz vergangener Größe leiht, bezeichnet die Seite der Ideali-
tät des Königtums insofern, als sie die Anerkennung des geltenden
Lehnrechts (im Sinne einer Synthese von Herrenrecht und Vasallen-
recht) bedeutet, eine Anerkennung, die historisch wie literarisch
keineswegs als Selbstverständlichkeit erscheint. Diese Idealität nun
stellt sich nicht einfach dar als Gegensatz zur Realität, sie hat viel-
mehr diese letztere teilweise in sich aufgenommen. Denn die Bereit-
willigkeit Karls, sich dem jugement im conseil zu unterwerfen, er-
folgt im Vertrauen auf die Möglichkeit, das Verfahren seinen eige-
nen Interessen dienstbar zu machen. Das gelingt ihm vollkommen
in der ersten Ratsszene, bei der Wahl des Gesandten, in der zweiten
dagegen zeitigt die Anerkennung des Vasallenrechts katastrophale
Folgen. Ist der König dort Herr der Situation, so ist er hier ihr
Opfer. Dem Kaiser vorzuwerfen, er sei unbedacht, der Lage nicht
gewachsen oder hätte einen Anfall von Schwäche, hieße nun nichts
anderes, als den kapetingischen Königen des 11. Jhs. die politische
Machtlosigkeit als persönliche Unfähigkeit anzulasten.
In Wahrheit handelt Charlemagne nicht anders als jene Könige
und unter dem gleichen Zwang wie diese. Deren einzige Chance,
die sie mit erstaunlicher Konsequenz wahrnehmen, lag darin, sich
ihrerseits die Möglichkeiten des Lehnrechts zunutze zu machen und
dessen zunächst geringeres zentripetales Element gegen das bedroh-
liche zentrifugale zu mobilisieren. Mit H. Mitteis dürfen wir das
Lehnrecht als die «Notbrücke» ansehen, «auf der das Königtum über
den Abgrund des 11. Jahrhunderts in das 12. hinüberschritt, die
Zeit der inneren Konsolidation und der beginnenden Staatswer-
Rats en t s ch ei dung nur noch im Couronnement Louis und in Fierabras an-
zutreffen. Die späteren Epen beschränken die Beteiligung der Vasallen in sol-
chen Fällen auf das Rat geb en. Wir beziehen uns hier auf die Feststellungen
der oben Anm. 23 genannten Staatsexamensarbeit von A. Scharffenorth.
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