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Flashar, Hellmut; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1969, 1. Abhandlung): Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk d. Thukydides — Heidelberg, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.44304#0019
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Der Epitaphios des Perikies

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Beide Erklärungen laufen aber nun auf die seltsame Paradoxie
hinaus, daß das berühmteste Stück des thukydideischen Werkes zu-
gleich das untypischste ist, die große Ausnahme, die eigentliche In-
konsequenz des sonst in kritischer Desillusionierung und strenger
Wahrheitssuche die das Geschehen auslösenden Kräfte und Antriebe
der sich stets gleichbleibenden Menschennatur entlarvenden, jeder
Hymnik abholden Historikers. So hat denn auch Kakridis einen
tiefen Riß zwischen der Darstellung Athens im Epitaphios und dem
übrigen Werk gesehen und ein geradezu rührendes Bild des greisen
Thukydides entworfen, der sich über alle Enttäuschungen und Schick-
salsschläge hinweg doch die Liebe zu seinem Vaterland bewahrt
habe. Das Geständnis der Liebe zu Athen sei „eine Angelegenheit
des Herzens“, in dem der Historiker „einmal entgegen seinem Prin-
zip der Unparteilichkeit verfuhr“ (Kakridis 113), was freilich keiner
Entschuldigung bedürfe, sondern unsere tiefe Bewunderung ver-
diene.
In diesem Sinne wird denn allgemein eine völlige Übereinstim-
mung zwischen den perikleischen und den thukydideischen Gedan-
ken gesehen. A. Lesky gibt die communis opinio im wesentlichen
wieder: „Hier wäre jeder Versuch, die Gedanken des Perikies von
jenen des Thukydides scheiden zu wollen, verfehlt . . . Hier in dem
Bilde attisch-klassischer Freiheit des Einzelnen in der Bindung an
das Ganze, in dem Aufweis athenischer Sendung, eine Bildungsstätte
für ganz Hellas zu sein, entschädigt uns Thukydides reichlich für die
spröde Zurückhaltung, mit der er sonst die Wertung des Schönen
und Geistigen von seiner Darstellung des politischen Kräftespiels
fernhält“ (Geschichte der griech. Lit., Bern21963, 503).
Angesichts der erstaunlichen Tatsache, daß der Epitaphios im
Gegensatz zu seiner Berühmtheit weit weniger erforscht ist als an-
dere Teile des thukydideischen Werkes - die Arbeit von Kakridis
ist die einzige Monographie über die Rede aus neuerer Zeit10 - dürfte
schon E. Meyer, Forschungen zur Alten Geschichte II Halle 1899, 397: „Ihm
wird das Herz warm, wenn er an das denkt, was Athen gewesen ist und was es
in seiner besten Zeit und in seinen besten Männern gewollt hat, mag auch noch
so oft sein Verstand dem skeptisch gegenüberstehen.“ Als Ideal versteht den
Epitaphios auch H. Herter in der Einleitung zu: Thukydides, Wege der For-
schung 6. 8.
10 Bei K. Oppenheimer, Zwei Attische Epitaphien, Diss. Berlin 1933 liegt der
Schwerpunkt bei der Interpretation des platonischen Menexenos. In der Beur-
teilung des perikleischen Epitaphios stimmen Oppenheimer und Kakridis weit-
 
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