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Flashar, Hellmut; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1969, 1. Abhandlung): Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk d. Thukydides — Heidelberg, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.44304#0023
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Der Epitaphios des Perikies

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Bundesgenossen usw. vorgegeben waren. Und doch hebt sich der
thukydideische Epitaphios in jedem seiner Teile deutlich von der
traditionellen Typik ab.
Das Prooemium (II 35) erwächst aus dem an dieser Stelle üblichen
Topos von der Schwierigkeit, die Taten der Gefallenen durch die
Rede angemessen zu würdigen19. Aber eigentümlich und - soweit wir
aus der uns erhaltenen Epitaphienliteratur sehen können - singulär
ist die Begründung, die dafür angegeben wird. Es sei schwer, so sagt
Perikies, auch nur den Anschein der Wahrheit (f| öoxtjok; rfjg a^T
adefag) zu sichern, da der kundige und wohlwollende Hörer die Dar-
stellung zu dürftig, der unkundige und mißgünstige sie für über-
trieben halten wird (35, 2). Man fühlt sich bei einer derartigen ein-
leitenden Bemerkung an den Methodensatz des Thukydides erinnert,
der die Schwierigkeit der Faktenermittlung mit dem Schwanken
der berichterstattenden Augenzeugen hinsichtlich ihres Wohlwollens
und ihrer Erinnerung begründet (I 22, 2). So gewinnt man den Ein-
druck, es gehe auch Perikies in seiner Rede um die schwierige Er-
mittlung der Wahrheit, die in der Mitte zwischen den zu hoch ge-
griffenen Erwartungen der wohlwollenden und den die Darstellung
als übertrieben tadelnden Empfindungen der mißgünstigen Hörer
liegt, wobei die Verbindung von kundig und daher wohlwollend auf
der einen und unkundig und daher mißgünstig auf der anderen Seite
besonders auffällt. Überraschen muß jedoch, daß unmittelbar nach
dieser ausführlichen Begründung für die Schwierigkeit der ange-
messenen Darstellung der Gedanke eine andere Wendung nimmt:
Unter Berufung auf die Vorfahren (ejceiöf] ös roig jtdXai oürwg eöoxl-
paoüiq) und in Anpassung an den Brauch (ejiopevov rcp vopto) — von
dem sich Perikies gerade noch (35, 1) distanziert hatte - will der
Redner nun den Versuch machen, Wunsch und Erwartung eines jeden
der Zuhörer zu erfüllen (jTEtgäoüai öpwv njg exdorou ßouXfpeax; te
xai ö6^T)g tu/elv), also nicht mehr eine sachangemesse Darstellung
finden, die von den Erwartungen der Hörer unabhängig ist.
Was soll dieses merkwürdige Hin und Her? Das Auffallende an
dem Abschnitt ist, wie hier für einen Augenblick der Gedanke an
eine mißgünstige Hörerschaft auftaucht, um dann gleich abgebogen
zu werden. Daraus wird man aber kaum ableiten können, hier spreche
Thukydides zu der skeptischen Jugend nach 40420; viel näher liegt
der Gedanke, daß Perikies durch einen rhetorischen Kunstgriff Neid

19 Vgl. Kakridis 4 mit den einzelnen Belegen.

20 So Kakridis 5ff.
 
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