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Flashar, Hellmut; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1969, 1. Abhandlung): Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk d. Thukydides — Heidelberg, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.44304#0024
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Hellmut Flashar

und Mißgunst eines Teiles der Hörerschaft beiseiteschiebt. Dabei
muß man sich klarmachen, worum es in der Sache geht. Nach der
traditionellen Epitaphientypik würde sich der Neid gegen die Taten
der Gefallenen richten, denen dieser Epitaphios gilt. Von ihnen ist
aber im engeren Sinne nicht mehr die Rede, sondern von der Lebens-
ordnung der Polis, die sie mitgestaltet haben, die aber vor allem ein
Werk des Perikies war. Also handelt es sich um Mißgunst nicht nur
gegen die Rede, sondern auch gegen das Werk des Perikies, die hier
ausgeschaltet wird. In der Tat ist in der folgenden Darstellung von
Mißgunst nicht nur nicht die Rede, sondern es heißt ausdrücklich,
die Athener lebten frei von gegenseitigen Verdächtigungen (37, 2).
Das aber entspricht nun keineswegs den wirklichen Verhältnissen
von 431, ist doch die ganze Darstellung der perikleischen Politik bei
Thukydides durchzogen von dem Gegensatz zwischen Perikies und
der wankelmütigen, mißgünstigen Menge. Man sieht, wie hier in
einer merkwürdig andeutenden Weise ein bestimmtes Moment, das
im Leben der Athener unter Perikies tatsächlich eine Rolle gespielt
hat, einer offensichtlich idealistischen Tendenz zuliebe eliminiert
wird, und zwar in einem so kunstvollen Ineinander der Illusion einer
perikleischen Rede und in diese eingewobener spezifisch thukydi-
deischer Gedanken, daß sich die idealisierende Tendenz weder allein
Perikies noch Thukydides zuschreiben läßt, sondern nur so viel gesagt
werden kann: Thukydides läßt Perikies in dieser konkreten Situation
eine derartige Tendenz verfolgen.
Die Denkweise des Thukydides tritt auch im folgenden Kapitel
(36), das von dem an dieser Stelle des Epitaphios stereotypen Lob
der Vorfahren handelt, deutlich hervor. Daß das Lob der Vorfahren
gegenüber dem sonst in den Epitaphien üblichen Maß ganz zurück-
tritt, ist mehrfach mit Recht bemerkt worden21. Die Autochthonie
wird nur eben angedeutet, die Taten der Vorfahren in mythischer
Zeit, die in den übrigen Epitaphien breit ausgemalt sind, werden
überhaupt übergangen, entsprechend der Auffassung des Thuky-
dides von der relativ geringen, durch die Dichter übertriebenen
Bedeutung mythischer Heldentaten (I 10, 3; 21, 1). Nur daß die Vor-
fahren das Land bis jetzt „frei“ erhalten haben, wird allgemein ge-
sagt22. Den „Vorfahren“ (jtgoyovoi) folgen die „Väter" (jiarepeg),
21 Vgl. Kakridis 11.
22 Die Erwähnung der Athener als Bewahrer der Freiheit gehört zur Typik des
Epitaphios, wohl am breitesten im Epitaphios des Lysias 17—44 mit sichtlich
 
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