Der Epitaphios des Perikies
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am ehesten sagen, Thukydides formuliere ein Ideal, das seiner Mei-
nung nach Perikies in der Tat erfüllt hat, von dem die Athener ins-
gesamt aber weit entfernt waren41. Die letzte Perikiesrede ist ja im
ganzen der deutliche und vergebliche Versuch, die Athener von Un-
tätigkeit zu Tatkraft, von unbesonnener Leidenschaft zu nüchternem
Kalkül zu bringen. Was im Epitaphios als Folge der mit dem Genos
der Epitaphienrede gegebenen epainetisch-idealisierenden Tendenz
den Athenern insgesamt zugesprochen wird, trifft also in diesem Fall
nach dem Urteil des Thukydides nur auf Perikies zu und verdeckt
künstlich die Spannung zwischen der Forderung des Perikies und
dem tatsächlichen Verhalten der Athener42. Zugleich klingt der Ge-
gensatz von athenischem und spartanischem Wesen und der mög-
lichen Mißdeutung dieser durch Wagemut auf der einen und Zögern
auf der anderen Seite gekennzeichneten Wesensart auch hier an.
noXirixd zu verbinden (so H. Herter, Comprensione ed azione politica. Studi
in onore di G. Funaioli, Rom 1955, 134ff.) erscheint mir nicht möglich.
Über outpaypova vgl. Gomme 121ff. Hier an Sokrates (W. Nestle, Philol. 81,
1925, 129ff.) oder Sokratiker bzw. Kyniker (K. Dienelt, Wien. Stud. 66, 1953,
94ff.) zu denken, besteht kein Anlaß.
41 Vgl. I 139, 4 (über Perikies) ’keyEi'v te zai nodooeiv öwctrcoTaroc;. Daß dies ein
altes Ideal (Ilias IX 443) ist, heben die Kommentare mit Recht hervor. Die
Frage nach dem Primat bzw. der Koinzidenz von vita activa und vita contem-
plativa ist schon im letzten Drittel des 5. Jahrhunderts in Athen diskutiert wor-
den. Wichtig ist ein Frgm. des eurip. Oedipus (552 N), in dem sich alle auch
von Thukydides verwendeten Ausdrücke finden: tioteqov yEVEOÜai örpa XQ'H-
cnpcbrsQov / ouvetöv äroXpov f| ■bpaouv re xapaüf); / rö uev yap avrwv crxatov,
aXV dpvverai, / rö ö’ f]au%aiov apyov, ev ö’ ap,cpoiv vocrog. Die Folgerung
kann nur lauten: Erst die Vereinigung beider Seiten ist positiv zu beurteilen.
Die Verbindung von Erkennen und Handeln bei den Athenern erscheint bei
Thuk. sogar in der Rede der Korinther I 70, 2, aber auch dort sichtlich
idealisiert und stilisiert. II 63, 2-6 hält Perikies den Athenern vor, daß taten-
loses Verharren (ö.npayuoo'U'vr]) zum Untergang führt, verlangt aber gleich-
zeitig zurückhaltende Ruhe (f|0v%d^0VTEg) im Kriege und lediglich den Aus-
bau der Flotte (II 65, 7). Das Gegenteil vertritt Alkibiades VI 18, 2. Die von
Perikies beschworene Harmonie von Rat und Tat erscheint aufgelöst und de-
praviert bei Kleon III 37, 3. Mit blinder Zuversicht und ohne Überlegung zur
Tat zu gehen, fordert Demosthenes bei Thuk. IV 10. Gewißt ist der Unterschied
zwischen einzelner militärischer Situation und grundsätzlicher politischer Hal-
tung zu bedenken, aber die Beziehungen sind offenkundig.
42 Der Gegensatz zwischen Perikies und dem tatsächlichen Verhalten der Athener
kommt - noch vor dem Epitaphios! — in dem Stimmungsbild II 21-22 nach dem
ersten Einfall der Peloponnesier glänzend zum Ausdruck. Vgl. dazu H. P. Stahl,
Thukydides, Die Stellung des Menschen im geschichtlichen Prozeß, Zetemata
40, 1966, 76.
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am ehesten sagen, Thukydides formuliere ein Ideal, das seiner Mei-
nung nach Perikies in der Tat erfüllt hat, von dem die Athener ins-
gesamt aber weit entfernt waren41. Die letzte Perikiesrede ist ja im
ganzen der deutliche und vergebliche Versuch, die Athener von Un-
tätigkeit zu Tatkraft, von unbesonnener Leidenschaft zu nüchternem
Kalkül zu bringen. Was im Epitaphios als Folge der mit dem Genos
der Epitaphienrede gegebenen epainetisch-idealisierenden Tendenz
den Athenern insgesamt zugesprochen wird, trifft also in diesem Fall
nach dem Urteil des Thukydides nur auf Perikies zu und verdeckt
künstlich die Spannung zwischen der Forderung des Perikies und
dem tatsächlichen Verhalten der Athener42. Zugleich klingt der Ge-
gensatz von athenischem und spartanischem Wesen und der mög-
lichen Mißdeutung dieser durch Wagemut auf der einen und Zögern
auf der anderen Seite gekennzeichneten Wesensart auch hier an.
noXirixd zu verbinden (so H. Herter, Comprensione ed azione politica. Studi
in onore di G. Funaioli, Rom 1955, 134ff.) erscheint mir nicht möglich.
Über outpaypova vgl. Gomme 121ff. Hier an Sokrates (W. Nestle, Philol. 81,
1925, 129ff.) oder Sokratiker bzw. Kyniker (K. Dienelt, Wien. Stud. 66, 1953,
94ff.) zu denken, besteht kein Anlaß.
41 Vgl. I 139, 4 (über Perikies) ’keyEi'v te zai nodooeiv öwctrcoTaroc;. Daß dies ein
altes Ideal (Ilias IX 443) ist, heben die Kommentare mit Recht hervor. Die
Frage nach dem Primat bzw. der Koinzidenz von vita activa und vita contem-
plativa ist schon im letzten Drittel des 5. Jahrhunderts in Athen diskutiert wor-
den. Wichtig ist ein Frgm. des eurip. Oedipus (552 N), in dem sich alle auch
von Thukydides verwendeten Ausdrücke finden: tioteqov yEVEOÜai örpa XQ'H-
cnpcbrsQov / ouvetöv äroXpov f| ■bpaouv re xapaüf); / rö uev yap avrwv crxatov,
aXV dpvverai, / rö ö’ f]au%aiov apyov, ev ö’ ap,cpoiv vocrog. Die Folgerung
kann nur lauten: Erst die Vereinigung beider Seiten ist positiv zu beurteilen.
Die Verbindung von Erkennen und Handeln bei den Athenern erscheint bei
Thuk. sogar in der Rede der Korinther I 70, 2, aber auch dort sichtlich
idealisiert und stilisiert. II 63, 2-6 hält Perikies den Athenern vor, daß taten-
loses Verharren (ö.npayuoo'U'vr]) zum Untergang führt, verlangt aber gleich-
zeitig zurückhaltende Ruhe (f|0v%d^0VTEg) im Kriege und lediglich den Aus-
bau der Flotte (II 65, 7). Das Gegenteil vertritt Alkibiades VI 18, 2. Die von
Perikies beschworene Harmonie von Rat und Tat erscheint aufgelöst und de-
praviert bei Kleon III 37, 3. Mit blinder Zuversicht und ohne Überlegung zur
Tat zu gehen, fordert Demosthenes bei Thuk. IV 10. Gewißt ist der Unterschied
zwischen einzelner militärischer Situation und grundsätzlicher politischer Hal-
tung zu bedenken, aber die Beziehungen sind offenkundig.
42 Der Gegensatz zwischen Perikies und dem tatsächlichen Verhalten der Athener
kommt - noch vor dem Epitaphios! — in dem Stimmungsbild II 21-22 nach dem
ersten Einfall der Peloponnesier glänzend zum Ausdruck. Vgl. dazu H. P. Stahl,
Thukydides, Die Stellung des Menschen im geschichtlichen Prozeß, Zetemata
40, 1966, 76.