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Flashar, Hellmut; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1969, 1. Abhandlung): Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk d. Thukydides — Heidelberg, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.44304#0034
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Hellmut Flashar

Ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht die Darstellung hinsicht-
lich der Diskrepanz zur Wirklichkeit am Ende des Kapitels in der
geradezu ungeheuren Behauptung, die Athener seien die einzigen,
die nicht so sehr in der Berechnung des eigenen Vorteils als vielmehr
mit dem freier Gesinnung eigenen Vertrauen anderen Hilfe und
Nutzen erweisen (II 40, 5). Man hat verschiedentlich versucht, die
Richtigkeit dieses Satzes zu retten, sei es, daß man ihn auf voraus-
liegende, mythische oder historische Situationen bezog43, sei es, daß
man seine Gültigkeit auf bestimmte Personengruppen oder einge-
grenzte Inhalte beschränkte44. Aber Perikies spricht von der Gegen-
wart und formuliert grundsätzlich und allgemein. Mit Recht bemerkt
daher Gomme 124: „No sentence of the Funeral Speech . . . was more
often contradicted not only by Athenian deeds, but by Athenian
words“. Es erübrigt sich, dies für die perikleische und nachperikle-
ische Politik Athens den Bundesgenossen gegenüber im einzelnen
aufzuweisen; es mag der Hinweis genügen, daß die von Perikies aus-
geschickten Gesandten in Sparta ja ganz offiziell den eigenen Nutzen
neben Ehre und Furcht als die entscheidenden Antriebskräfte von
Athens Machtgewinnung und -ausübung herausstellten45. Zudem
haben wir hier ein typisches Motiv der Lob- bzw. Epitaphienrede vor
uns, das in sonst durchweg breiterer Ausgestaltung46 gleichsam das
außenpolitische Pendant zu dem traditionellen Bekenntnis darstellt,
die ungeschriebenen Gesetze zu achten und die Entrechteten zu schüt-
zen (37, 3). Wie stark die Athener sich im Verhältnis zu anderen doch
von der Berechnung des eigenen Vorteils leiten lassen, zeigt im
Grunde bereits der vorangehende Satz (40, 4). Denn der Gedanke,
Freunde durch Erweisen, nicht durch Empfangen von Wohltaten zu
43 Gassen z. St. hatte bemerkt: „Beispiele der hier gerühmten Politik Athens wird
es nicht leicht sein aufzuweisen.“ Wilamowitz (dem sich dann Steup anschloß)
dachte an die Rettung der Herakliden vor Eurystheus und das Einschreiten zu-
gunsten der Sieben gegen Theben. K. v. Fritz, a. 0. I 678 meint: „Will man ein
eindrucksvolles Beispiel dafür finden, muß man allerdings bis in die Anfänge
des politischen Hervortretens des Perikies zurückgehen. Da findet sich ein sol-
ches in der aegyptischen Expedition.“
44 K. W. Krüger z. St. meint, hier sei nur an das großzügige und uneigennützige
Spenden der athenischen Bildung an andere gedacht.
45 I 75, 3; 76, 2. Entsprechend weisen die Mytilenaeer III lOff. nach, daß auf
Seiten der Athener Berechnung des Vorteils und Furcht die Grundlage des
Bündnisses gewesen ist.
46 Ausführlich nachgewiesen von H. Strasburger, a. 0. 25ff. (= Thuk., Wege d.
Forschg. 505ff.)
 
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