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Hellmut Flashar
nach 404 geschrieben hat. Die Macht, die als Beweis für die geistige
Überlegenheit der Athener dienen soll, existierte ja nun nicht mehr,
und die in die Zukunft gerichteten stolzen Worte des Perikies: wir
haben die Macht der Stadt dargetan für die jetzigen und künftigen
Generationen zur Bewunderung, haben sich nicht nur nicht erfüllt,
sondern ins Gegenteil verkehrt, als Thukydides diese Worte schrieb.
Auf dem Hintergrund des historischen Ablaufes der Ereignisse, kon-
kret: des Zerfalles der athenischen Macht, klingt die stolze Macht-
demonstration hohl, erweisen sich die „großen Beweise“ der Macht
als brüchig, zeigt sich, daß Macht die Realität des Geistes nicht be-
weisen kann55. In der Tat hat ja das im Epitaphios entworfene Men-
schenbild ohne die imperialistische Komponente als Ideal weiterge-
wirkt56, mit der es bei Perikies in einer gegenseitig sich bedingenden
Verflechtung steht. Wer immer unter Berufung auf den perikleischen
Epitaphios einen Humanismus für unsere Tage begründen will, ver-
fälscht daher die Aussage des Thukydides. Er beriefe sich besser
auf den Panegyrikos des Isokrates, der unter Verwertung thukydi-
deischer Motive die geistigen Leistungen Athens zwar aus einer Vor-
machtstellung der Stadt ableitet, aber nicht an deren fortdauernde
Macht bindet57, wie es Perikies tut.
Perikies ist also insofern durch den geschichtlichen Ablauf der
Ereignisse widerlegt, als weder die athenische Lebensart die Macht
der Stadt zu garantieren vermocht hat noch umgekehrt die ethischen
Werte als Ideale mit dem Zerfall der Macht untergegangen sind.
Hält man nun daran fest, daß Thukydides den Epitaphios erst nach
404 geschrieben hat, so kann man unmöglich annehmen, er selbst
preise die athenische Macht, - sie war ja gerade zerbrochen58. Also
sprechend einzuordnen ist. Mit Recht bemerkt Kakridis, a. O. 5: „Daß der
Epitaphios keine treue Wiedergabe der von Perikies im Winter 431/30 wirk-
lich gehaltenen Rede, sondern von dem greisen Thukydides nach 404 frei kon-
zipiert ist, gehört m. E. zu den sichersten Ergebnissen der neueren Thukydides-
analyse.“
55 J. de Romilly, a. 0. 131 findet mit Recht die Art, wie Perikies die beiden Glie-
der: Geist und Macht miteinander verbindet, „rather surprising“ und fährt
fort: „It is difficult to understand how the moral superiority of Athens can
justify her rule, if it does take the form of a tyranny.“
56 Isokrates, Panegyrikos 34-53. Vgl. dazu E. Buchner, Der Panegyrikos des Iso-
krates, Historia, Einzelschriften 2, 1958, 49ff. Gomme, a. O. 130 bemerkt richtig:
„It is a singulär error that Athens’ fame would rest on her imperial deeds.“
57 Vgl. Gundert, a. O. 108f. (= Thuk., Wege d. Forschg. 127).
58 Um dieser Konsequenz zu entgehen, wendet sich Gomme 129f. gegen die von
den meisten Forschern vertretene Spätdatierung der Rede. Mit Recht bemerkt
Hellmut Flashar
nach 404 geschrieben hat. Die Macht, die als Beweis für die geistige
Überlegenheit der Athener dienen soll, existierte ja nun nicht mehr,
und die in die Zukunft gerichteten stolzen Worte des Perikies: wir
haben die Macht der Stadt dargetan für die jetzigen und künftigen
Generationen zur Bewunderung, haben sich nicht nur nicht erfüllt,
sondern ins Gegenteil verkehrt, als Thukydides diese Worte schrieb.
Auf dem Hintergrund des historischen Ablaufes der Ereignisse, kon-
kret: des Zerfalles der athenischen Macht, klingt die stolze Macht-
demonstration hohl, erweisen sich die „großen Beweise“ der Macht
als brüchig, zeigt sich, daß Macht die Realität des Geistes nicht be-
weisen kann55. In der Tat hat ja das im Epitaphios entworfene Men-
schenbild ohne die imperialistische Komponente als Ideal weiterge-
wirkt56, mit der es bei Perikies in einer gegenseitig sich bedingenden
Verflechtung steht. Wer immer unter Berufung auf den perikleischen
Epitaphios einen Humanismus für unsere Tage begründen will, ver-
fälscht daher die Aussage des Thukydides. Er beriefe sich besser
auf den Panegyrikos des Isokrates, der unter Verwertung thukydi-
deischer Motive die geistigen Leistungen Athens zwar aus einer Vor-
machtstellung der Stadt ableitet, aber nicht an deren fortdauernde
Macht bindet57, wie es Perikies tut.
Perikies ist also insofern durch den geschichtlichen Ablauf der
Ereignisse widerlegt, als weder die athenische Lebensart die Macht
der Stadt zu garantieren vermocht hat noch umgekehrt die ethischen
Werte als Ideale mit dem Zerfall der Macht untergegangen sind.
Hält man nun daran fest, daß Thukydides den Epitaphios erst nach
404 geschrieben hat, so kann man unmöglich annehmen, er selbst
preise die athenische Macht, - sie war ja gerade zerbrochen58. Also
sprechend einzuordnen ist. Mit Recht bemerkt Kakridis, a. O. 5: „Daß der
Epitaphios keine treue Wiedergabe der von Perikies im Winter 431/30 wirk-
lich gehaltenen Rede, sondern von dem greisen Thukydides nach 404 frei kon-
zipiert ist, gehört m. E. zu den sichersten Ergebnissen der neueren Thukydides-
analyse.“
55 J. de Romilly, a. 0. 131 findet mit Recht die Art, wie Perikies die beiden Glie-
der: Geist und Macht miteinander verbindet, „rather surprising“ und fährt
fort: „It is difficult to understand how the moral superiority of Athens can
justify her rule, if it does take the form of a tyranny.“
56 Isokrates, Panegyrikos 34-53. Vgl. dazu E. Buchner, Der Panegyrikos des Iso-
krates, Historia, Einzelschriften 2, 1958, 49ff. Gomme, a. O. 130 bemerkt richtig:
„It is a singulär error that Athens’ fame would rest on her imperial deeds.“
57 Vgl. Gundert, a. O. 108f. (= Thuk., Wege d. Forschg. 127).
58 Um dieser Konsequenz zu entgehen, wendet sich Gomme 129f. gegen die von
den meisten Forschern vertretene Spätdatierung der Rede. Mit Recht bemerkt