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Hellmut Flashar
farblos, ist doch „das Wichtigste schon gesagt“ (42, 1). Interessant ist
der den Schlußteil des Epitaphios durchziehende Arete-Begriff. Er ist
von keiner ethischen Wertung her bestimmt und nicht idealisiert,
sondern realistisch geprägt. ’Aqett] heißt hier „Brauchbarkeit“ im
materiellen Sinne, Menschenmaterial, das für das Vaterland hinge-
geben wird. So wird der Heldentod, mag er nun den jungen oder den
alten Menschen treffen, als höchster Nachweis der Arete verstanden
(42, 2-3), und zwar selbst bei denen, die einzeln eher geschadet als
genützt haben (ayaftw ya^ xotvov päXÄov wqpsÄTjoav p ex roov iÖtcov
eßXarpav). Entsprechend dominiert sowohl in dem Lob auf die Ge-
fallenen als auch in dem Trost für die Angehörigen ganz eindeutig
das Staatsinteresse, wie denn z. B. der Rat an die noch jüngeren
Eltern der gefallenen Söhne, neue Kinder zu zeugen, ganz offen mit
dem Nutzen des Staates begründet wird, der diese dann dereinst er-
neut opfern kann (44, 3). Daß auch dieser Gedanke die Eltern noch
trösten soll, gehört offenbar zur Ideologie des Perikies, die Thuky-
dides hier zur Darstellung bringt60. Eine derartige Auffassung zeigt,
daß die ethischen Prädikationen im ersten Teil der Rede als Ver-
brämungen reiner Machtpolitik anzusehen sind. In diesem Sinne ist
auch das berühmte Wort an die Athener zu verstehen, sie sollen zu
Liebhabern ihrer Stadt werden (43, 1). Fernab von jeder meist ge-
fühlsbetonten Form der Heimatliebe fordert es zur Machtliebe, zum
leidenschaftlichen Ergreifen und Festhalten der Macht auf. Welche
Von der Satzmelodie her einfacher und zunächst naheliegender wäre die Auf-
fassung von W. Schadewaldt (Hellas und Hesperien 421f.): „Sie haben in einem
kurzen Augenblick, auf ihres Schicksals scharfer Schneide äpa axpfj)
zwar ihre Zukunft, doch ihre Ehre nicht dahingegeben.“ Aber öeog heißt nicht
Ehre (neben: „Furcht“ bei Thuk. II 37, 3 lediglich „innere Scheu“), und öo^a
kann hier nur Ruhm bedeuten (vgl. II 43, 2). Indiskutabel ist die Auffassung
von Kakridis 81: „Der Tod kommt augenblicklich und befreit die Kämpfenden
nicht aus Furcht vor ihm - in diese sind sie niemals geraten sondern viel-
mehr aus ihrer Besorgnis, daß sie beim Kampfe eventuell von der Furcht ge-
packt werden könnten.“ Hinter öo^a wäre dann in Gedanken rov öeoug zu
ergänzen.
60 Das traditionelle Epitaphienmotiv: ,Trost an die Eltern1 ist hier in ganz sin-
gulärer Weise abgewandelt. Jedenfalls findet sich der gleiche Gedanke in kei-
nem der erhaltenen Epitaphien. Kakridis bemerkt 99: „Daß in der wirklichen
Rede, die Perikies im J. 431 gehalten hatte, so etwas stehen konnte, wird man
wohl bezweifeln; aber zu den besonderen Zwecken des thukydideischen Epita-
phios paßt es ganz gut, wenn eher an die Vorteile des Staates als an die der ein-
zelnen Individuen gedacht wird.“ An welche „besonderen Zwecke“ hier ge-
dacht werden kann, sagt Kakridis leider nicht.
Hellmut Flashar
farblos, ist doch „das Wichtigste schon gesagt“ (42, 1). Interessant ist
der den Schlußteil des Epitaphios durchziehende Arete-Begriff. Er ist
von keiner ethischen Wertung her bestimmt und nicht idealisiert,
sondern realistisch geprägt. ’Aqett] heißt hier „Brauchbarkeit“ im
materiellen Sinne, Menschenmaterial, das für das Vaterland hinge-
geben wird. So wird der Heldentod, mag er nun den jungen oder den
alten Menschen treffen, als höchster Nachweis der Arete verstanden
(42, 2-3), und zwar selbst bei denen, die einzeln eher geschadet als
genützt haben (ayaftw ya^ xotvov päXÄov wqpsÄTjoav p ex roov iÖtcov
eßXarpav). Entsprechend dominiert sowohl in dem Lob auf die Ge-
fallenen als auch in dem Trost für die Angehörigen ganz eindeutig
das Staatsinteresse, wie denn z. B. der Rat an die noch jüngeren
Eltern der gefallenen Söhne, neue Kinder zu zeugen, ganz offen mit
dem Nutzen des Staates begründet wird, der diese dann dereinst er-
neut opfern kann (44, 3). Daß auch dieser Gedanke die Eltern noch
trösten soll, gehört offenbar zur Ideologie des Perikies, die Thuky-
dides hier zur Darstellung bringt60. Eine derartige Auffassung zeigt,
daß die ethischen Prädikationen im ersten Teil der Rede als Ver-
brämungen reiner Machtpolitik anzusehen sind. In diesem Sinne ist
auch das berühmte Wort an die Athener zu verstehen, sie sollen zu
Liebhabern ihrer Stadt werden (43, 1). Fernab von jeder meist ge-
fühlsbetonten Form der Heimatliebe fordert es zur Machtliebe, zum
leidenschaftlichen Ergreifen und Festhalten der Macht auf. Welche
Von der Satzmelodie her einfacher und zunächst naheliegender wäre die Auf-
fassung von W. Schadewaldt (Hellas und Hesperien 421f.): „Sie haben in einem
kurzen Augenblick, auf ihres Schicksals scharfer Schneide äpa axpfj)
zwar ihre Zukunft, doch ihre Ehre nicht dahingegeben.“ Aber öeog heißt nicht
Ehre (neben: „Furcht“ bei Thuk. II 37, 3 lediglich „innere Scheu“), und öo^a
kann hier nur Ruhm bedeuten (vgl. II 43, 2). Indiskutabel ist die Auffassung
von Kakridis 81: „Der Tod kommt augenblicklich und befreit die Kämpfenden
nicht aus Furcht vor ihm - in diese sind sie niemals geraten sondern viel-
mehr aus ihrer Besorgnis, daß sie beim Kampfe eventuell von der Furcht ge-
packt werden könnten.“ Hinter öo^a wäre dann in Gedanken rov öeoug zu
ergänzen.
60 Das traditionelle Epitaphienmotiv: ,Trost an die Eltern1 ist hier in ganz sin-
gulärer Weise abgewandelt. Jedenfalls findet sich der gleiche Gedanke in kei-
nem der erhaltenen Epitaphien. Kakridis bemerkt 99: „Daß in der wirklichen
Rede, die Perikies im J. 431 gehalten hatte, so etwas stehen konnte, wird man
wohl bezweifeln; aber zu den besonderen Zwecken des thukydideischen Epita-
phios paßt es ganz gut, wenn eher an die Vorteile des Staates als an die der ein-
zelnen Individuen gedacht wird.“ An welche „besonderen Zwecke“ hier ge-
dacht werden kann, sagt Kakridis leider nicht.