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Hellmut Flashar
nießen (Plutarch, Per. 8 = FGrHist. II B 107 F 9). Diese Haltung
den Göttern gegenüber ist in gewisser Weise dem Agnostizismus des
Protagoras verwandt, wie denn Perikies als Vertrauter des Anaxa-
goras naturgemäß zu den aufgeklärten Geistern gehört, in der
Durchsetzung des Bauprogramms der Akropolis auf die Kritik kon-
servativer Gegner stieß usw. Daß die Tempelbauten im großen wie
einzelne Maßnahmen, z. B. die Errichtung einer Statue der Athena
Hygieia für die Heilung eines verunglückten Arbeiters (Plut., Per.
13) politischen Zwecken, Selbstdarstellung und Machtrepräsentation
dienstbar gemacht wurden, ist ebenso deutlich. Immerhin spielen
äußere religiöse Bezeugungen eine große Rolle, wie Perikies z. B. vor
jeder Rede ein Gebet an die Götter richtete mit dem bezeichnenden
Inhalt, es möge ihm kein unpassendes Wort versehentlich unterlau-
fen (Plut., Per. 8).
b) Bei dem thukydideischen Perikies fehlt dieser ganze Bereich
nahezu völlig. Die einzigen Stellen, die allenfalls in Betracht kom-
men, sind: II 64,1: cpcpEiv öe /qt] rd te öcupovia dvayxaiojg, wo der Be-
reich der tu/t] mit rd öaipövia wiedergegeben ist. Ferner: II 43: roüg öe
Xontoug xqy] aocpaXEGTEpav |lev EÜ/Ecrilai . . . „Die übrigen sollen beten,
daß“ . . . Im übrigen aber fehlt der ganze religiöse Bezug gerade auch
da, wo man ihn erwarten würde. Offenbar glaubt Thukydides, so die
eigentliche Haltung des Perikies richtig zum Ausdruck zu bringen.
c) Eine wirkliche Auffassung oder Einstellung des Thukydides ist
nicht leicht erkennbar. Sein Bericht ist frei von expliziten religiös-
metaphysischen Interpretationen nach der Art Herodots. Und doch
gibt es einige Stellen, an denen von religiösen Bindungen die Rede
ist. II 53 (Pestschilderung) Hecov öe cpößog p avFQCDJtcov vöpog ouös'ig
aneipyE ... III 82, 8 (Schilderung der geistigen Folgen der Revolution
in Kerkyra) ojote Evosßslg liev oüöeteqoi (der sich Bekämpfenden)
Evopi^ov. Ferner im Melierdialog: V 104 die Melier hoffen auf eine
TÜ/p e% rou üe'iou, empfinden sich als ooioi, vgl. dagegen 105 die Auf-
fassung der Athener (die keineswegs mit der des Thukydides iden-
tifiziert werden darf). Schließlich die Gestalt des Nikias als des Ver-
treters der alten Religiosität. In dem Nachruf auf ihn VII 86, 5:
Nikias habe sein ganzes Leben auf die öcqety] eingestellt. Was darun-
ter konkret zu verstehen ist, geht aus VII 77, 2 hervor: jtoXXct psv sg
■ÖEoug vopipa ÖEÖif]Tr|pai, aoXXd öe Eg WOocbjroug öixaia xai ävsHcpflova.
Die religiöse Dimension im Werk des Thukydides ist also unüber-
hörbar, aber Thukydides hält ein göttliches Einwirken von den das
Geschehen auslösenden Kräften in seiner Darstellung fern und bringt
Hellmut Flashar
nießen (Plutarch, Per. 8 = FGrHist. II B 107 F 9). Diese Haltung
den Göttern gegenüber ist in gewisser Weise dem Agnostizismus des
Protagoras verwandt, wie denn Perikies als Vertrauter des Anaxa-
goras naturgemäß zu den aufgeklärten Geistern gehört, in der
Durchsetzung des Bauprogramms der Akropolis auf die Kritik kon-
servativer Gegner stieß usw. Daß die Tempelbauten im großen wie
einzelne Maßnahmen, z. B. die Errichtung einer Statue der Athena
Hygieia für die Heilung eines verunglückten Arbeiters (Plut., Per.
13) politischen Zwecken, Selbstdarstellung und Machtrepräsentation
dienstbar gemacht wurden, ist ebenso deutlich. Immerhin spielen
äußere religiöse Bezeugungen eine große Rolle, wie Perikies z. B. vor
jeder Rede ein Gebet an die Götter richtete mit dem bezeichnenden
Inhalt, es möge ihm kein unpassendes Wort versehentlich unterlau-
fen (Plut., Per. 8).
b) Bei dem thukydideischen Perikies fehlt dieser ganze Bereich
nahezu völlig. Die einzigen Stellen, die allenfalls in Betracht kom-
men, sind: II 64,1: cpcpEiv öe /qt] rd te öcupovia dvayxaiojg, wo der Be-
reich der tu/t] mit rd öaipövia wiedergegeben ist. Ferner: II 43: roüg öe
Xontoug xqy] aocpaXEGTEpav |lev EÜ/Ecrilai . . . „Die übrigen sollen beten,
daß“ . . . Im übrigen aber fehlt der ganze religiöse Bezug gerade auch
da, wo man ihn erwarten würde. Offenbar glaubt Thukydides, so die
eigentliche Haltung des Perikies richtig zum Ausdruck zu bringen.
c) Eine wirkliche Auffassung oder Einstellung des Thukydides ist
nicht leicht erkennbar. Sein Bericht ist frei von expliziten religiös-
metaphysischen Interpretationen nach der Art Herodots. Und doch
gibt es einige Stellen, an denen von religiösen Bindungen die Rede
ist. II 53 (Pestschilderung) Hecov öe cpößog p avFQCDJtcov vöpog ouös'ig
aneipyE ... III 82, 8 (Schilderung der geistigen Folgen der Revolution
in Kerkyra) ojote Evosßslg liev oüöeteqoi (der sich Bekämpfenden)
Evopi^ov. Ferner im Melierdialog: V 104 die Melier hoffen auf eine
TÜ/p e% rou üe'iou, empfinden sich als ooioi, vgl. dagegen 105 die Auf-
fassung der Athener (die keineswegs mit der des Thukydides iden-
tifiziert werden darf). Schließlich die Gestalt des Nikias als des Ver-
treters der alten Religiosität. In dem Nachruf auf ihn VII 86, 5:
Nikias habe sein ganzes Leben auf die öcqety] eingestellt. Was darun-
ter konkret zu verstehen ist, geht aus VII 77, 2 hervor: jtoXXct psv sg
■ÖEoug vopipa ÖEÖif]Tr|pai, aoXXd öe Eg WOocbjroug öixaia xai ävsHcpflova.
Die religiöse Dimension im Werk des Thukydides ist also unüber-
hörbar, aber Thukydides hält ein göttliches Einwirken von den das
Geschehen auslösenden Kräften in seiner Darstellung fern und bringt