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Flashar, Hellmut; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1969, 1. Abhandlung): Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk d. Thukydides — Heidelberg, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.44304#0044
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34

Hellmut Flashar

herkömmlichen Epitaphienmotive von dem Preis der Gefallenen zur
Darstellung der Polis und der gegenwärtig in ihr lebenden Menschen
ist in diesem Sinne charakteristisch für die Denkweise des Perikies
in der Darstellung durch Thukydides. Daß dieses teils brutale, teils
verführerische Bild der Auffassung des Thukydides entspricht, läßt
sich aus der Rede selbst an keiner Stelle wahrscheinlich machen.
Natürlich hält Thukydides in der Ausgestaltung des Epitaphios
streng an der Fiktion einer 431 gehaltenen Rede fest, aber die Kom-
position des zweiten Buches im ganzen wie der einleitende Hinweis
auf den „ganzen Krieg“ (34, 7) weisen von vornherein auf eine Ab-
fassungszeit nach 404, worin ja auch die meisten Forscher überein-
stimmen. Legt man nun aber einmal die Perspektive von 404 an die
Rede an, so ergibt sich eine beziehungsreiche Spannung zwischen
Aussage und Wirklichkeit. Denn dann hat ja Thukydides die im
Epitaphios zutage tretende selbstherrliche Machteinschätzung dem
Perikies in den Mund gelegt, als die Machtpolitik Athens gescheitert
war. Daher klingen die auf Macht gegründeten ,Beweise' für die
Gesinnung der Athener hohl, der Ausblick auf Mit- und Nachwelt
fast gespenstisch, weist die durchgehende Diskrepanz der Darstel-
lung zur Wirklichkeit nicht nur auf eine Distanzierung durch Thu-
kydides, sondern zum Teil auf geradezu bittere Ironie. Daß dies eine
Apologie des Thukydides für Perikies sein soll, ist daher ganz un-
wahrscheinlich. Welche Funktion die Rede im Ganzen des thukydi-
deischen Werkes hat, ist nun zu fragen.
3.
Man hat mit Recht bemerkt, daß die unmittelbar anschließende
Pestschilderung (II 48-53) wie sonst nur eine Gegenrede im Sinne
einer Antithese auf den Epithaphios antwortet66. Das zeigt sich schon
„auf einer anderen Ebene entworfen wird als die übrigen Aussagen des thuky-
dideischen Werkes“ (W. Müri, Beitrag zum Verständnis des Thukydides, Mus.
Helv. 4, 1947, 262 = Thuk., Wege d. Forschg. 151).
86 Vgl. K. Reinhardt, Thukydides und Macchiavelli, in: Vermächtnis der Antike,
Göttingen 1966, 184ff. (bes. 212ff.); Gomme, a. 0. 161. H. Strasburger, Die
Wesensbestimmung der Geschichte durch die antike Geschichtsschreibung,
Wiesbaden 1966, 73ff. hat diese von Thukydides „auch sonst geübte Technik,
durch literarische Komposition geschichtliche Sinndeutung ohne Worte sichtbar
zu machen“, an anderen Beispielen (z. B. Melierdialog - sizilische Expedition)
verdeutlicht und dabei auf die verstärkende Suggestivwirkung aufmerksam
gemacht, die durch derartige Gruppierungen erreicht wird.
 
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