Der Epitaphios des Perikies 37
Im übrigen lassen die Perikiesreden insgesamt das gleiche Macht-
denken erkennen wie der Epitaphios. Für die erste Perikiesrede70
ist das auch geradezu selbstverständlich, da ja hier der Kriegsplan
entwickelt wird, dessen konkreter Inhalt natürlich das Abwägen der
beiderseitigen Machtmittel voraussetzt. Immerhin sei angemerkt,
daß der Rat, während des Krieges die Herrschaft nicht auszudehnen
(I 144, 1), rein taktischer Natur ist und nichts mit einer irgendwie
ethisch bewertbaren Mäßigung zu tun hat. Und die Maßstäbe, nach
denen Perikies die Machtmittel mißt und abwägt, entsprechen ganz
der Ideologie des Epitaphios. Wenn Perikies etwa in der indirekt
wiedergegebenen Rede II 13 bei der Darlegung der Machtmittel
selbst das Gold der Athenastatue im Parthenon für den Krieg ein-
zusetzen sich bereit zeigt (II 13, 5), so ist dies die gleiche Denkweise,
die im Epitaphios den Menschen als Material für die Kriegführung
sieht und die Eltern der Gefallenen dazu anhält, neue Kinder zu
zeugen, die ebenfalls für den Staat hingegeben werden sollen.
Unverhüllter noch tritt dieses Machtdenken in der letzten Peri-
kiesrede (II 60-64) hervor. Die Beziehungen zum Epitaphios liegen
ja auf der Hand. Im ersten Teil der Rede steht das auch den Epita-
phios durchziehende Verhältnis des einzelnen zum Staat im Vorder-
grund. Aber was im Epitaphios den Athenern insgesamt zugespro-
chen wurde, gilt jetzt für Perikies allein, der nun im Gegensatz zur
Menge steht. Rechtes Erkennen und Reden, im Epitaphios Wesens-
zug der Athener (40, 2-3), nimmt jetzt Perikies für sich in Anspruch
(60, 5). So ist Perikies jetzt „einer, der seine Polis liebt“ (cpiVutoXig,
60, 5), wie es nach dem Epitaphios die Athener überhaupt sein sollen
(43, 1). Wir werden nicht fehlgehen, diese Liebe zur Stadt auch in
der letzten Rede des Perikies mit dem Gedanken der Macht in enge
Verbindung zu bringen. Wie eine Anspielung auf den Epitaphios
klingt die mahnende Erinnerung, die Athener bewohnten eine große
Stadt und seien in einer ihr ebenbürtigen Wesensart aufgewachsen
(aoXiv pEyaXr|v oixowrag xai ev rjftEcnv dvwtdXotg aürfj TEftpapipiEvoug,
61, 4). Größe der Stadt und Gesittung der Menschen stehen hier in
70 Den sachlichen Zusammenhang der 1. Perikiesrede mit den anderen Perikies-
reden hat nachgewiesen R. Zahn, Die erste Perikiesrede, Diss. Kiel 1934. Gegen
die These von der ursprünglich frühen Abfassungszeit und späteren Bearbeitung
der Rede wendet sich mit Recht H. Herter, Zur ersten Perikiesrede des Thuky-
dides, Studies pres. to D. M. Robinson, St. Louis II 1953, 613ff., der die späte
Abfassung der Rede sichert und bemerkt: „Der Historiker stellt die Rechnung
seines Helden aus voller Kenntnis des Gesamtverlaufes dar“ (622).
Im übrigen lassen die Perikiesreden insgesamt das gleiche Macht-
denken erkennen wie der Epitaphios. Für die erste Perikiesrede70
ist das auch geradezu selbstverständlich, da ja hier der Kriegsplan
entwickelt wird, dessen konkreter Inhalt natürlich das Abwägen der
beiderseitigen Machtmittel voraussetzt. Immerhin sei angemerkt,
daß der Rat, während des Krieges die Herrschaft nicht auszudehnen
(I 144, 1), rein taktischer Natur ist und nichts mit einer irgendwie
ethisch bewertbaren Mäßigung zu tun hat. Und die Maßstäbe, nach
denen Perikies die Machtmittel mißt und abwägt, entsprechen ganz
der Ideologie des Epitaphios. Wenn Perikies etwa in der indirekt
wiedergegebenen Rede II 13 bei der Darlegung der Machtmittel
selbst das Gold der Athenastatue im Parthenon für den Krieg ein-
zusetzen sich bereit zeigt (II 13, 5), so ist dies die gleiche Denkweise,
die im Epitaphios den Menschen als Material für die Kriegführung
sieht und die Eltern der Gefallenen dazu anhält, neue Kinder zu
zeugen, die ebenfalls für den Staat hingegeben werden sollen.
Unverhüllter noch tritt dieses Machtdenken in der letzten Peri-
kiesrede (II 60-64) hervor. Die Beziehungen zum Epitaphios liegen
ja auf der Hand. Im ersten Teil der Rede steht das auch den Epita-
phios durchziehende Verhältnis des einzelnen zum Staat im Vorder-
grund. Aber was im Epitaphios den Athenern insgesamt zugespro-
chen wurde, gilt jetzt für Perikies allein, der nun im Gegensatz zur
Menge steht. Rechtes Erkennen und Reden, im Epitaphios Wesens-
zug der Athener (40, 2-3), nimmt jetzt Perikies für sich in Anspruch
(60, 5). So ist Perikies jetzt „einer, der seine Polis liebt“ (cpiVutoXig,
60, 5), wie es nach dem Epitaphios die Athener überhaupt sein sollen
(43, 1). Wir werden nicht fehlgehen, diese Liebe zur Stadt auch in
der letzten Rede des Perikies mit dem Gedanken der Macht in enge
Verbindung zu bringen. Wie eine Anspielung auf den Epitaphios
klingt die mahnende Erinnerung, die Athener bewohnten eine große
Stadt und seien in einer ihr ebenbürtigen Wesensart aufgewachsen
(aoXiv pEyaXr|v oixowrag xai ev rjftEcnv dvwtdXotg aürfj TEftpapipiEvoug,
61, 4). Größe der Stadt und Gesittung der Menschen stehen hier in
70 Den sachlichen Zusammenhang der 1. Perikiesrede mit den anderen Perikies-
reden hat nachgewiesen R. Zahn, Die erste Perikiesrede, Diss. Kiel 1934. Gegen
die These von der ursprünglich frühen Abfassungszeit und späteren Bearbeitung
der Rede wendet sich mit Recht H. Herter, Zur ersten Perikiesrede des Thuky-
dides, Studies pres. to D. M. Robinson, St. Louis II 1953, 613ff., der die späte
Abfassung der Rede sichert und bemerkt: „Der Historiker stellt die Rechnung
seines Helden aus voller Kenntnis des Gesamtverlaufes dar“ (622).