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Roland Hampe

Lassen wir den Verwendungszweck dieser Schalen zunächst bei-
seite und beschränken wir uns auf die Betrachtung der Form. Zur
Verdeutlichung seien hier zwei orientalische Löwenschalen aus Ber-
liner Privatbesitz abgebildet, die mit freundlicher Erlaubnis des
Eigentümers hier bekanntgemacht werden (Taf. 4. 5,1-3). Es handelt
sich um zwei ausgesprochen kleine Schalen aus Steatit; beide reprä-
sentieren einen geläufigen Typ: die eine mit Löwenprotome (Länge
9,5 cm); bei ihr wird die Schale von dem Löwenmaul und den bei-
den Löwenpranken gehalten. Die andere ohne Protome (Länge
9,2 cm); bei ihr wird die Schale auf der Unterseite von einer mensch-
lichen Hand getragen (,handbowl‘)- Statt der Hand kann bei den
orientalischen Beispielen auch ein pflanzliches Ornament die Wöl-
bung zieren. Beiden Schalen gemeinsam ist der kurze, röhrenförmige
Zapfen, dessen Durchbohrung in die Schale mündet26. Ein weiteres
Beispiel, eine Löwenschale aus Steatit, die anläßlich der Olympischen
Spiele in Tokio dort im Kunsthandel auftauchte (Taf. 5,s)27, zeigt
den gleichen Befund: die Löwenprotome, die Löwenpranken, welche
die Schale seitlich halten, der aufgerissene Löwenrachen, der den
breiten Rand der Schale hält, die Durchbohrung darunter, die durch
den röhrenförmigen Zapfen führt. Die Unterseite der Schale ist hier
mit einem Pllanzenornament geziert.
Die Ähnlichkeiten zu unserer kretischen Löwenschale, der solche
orientalischen Gefäße zum Vorbild dienten, sind evident, aber auch
zugleich die Unterschiede. Das kretische Gefäß kann nicht als Kopie,
sondern muß als freie Umbildung bezeichnet werden. Es verbindet
Züge der orientalischen ,lion bowls‘ mit denen der ,handbowls‘, und
kombiniert zugleich die Schale mit dem Flüssigkeitsbehälter, der im
Orient gesondert gearbeitet war und von den heutigen Forschern
bisher nicht gefunden oder nicht erkannt wurde. Von den Löwen-
schalen wurde der Löwenkopf übernommen, jedoch nicht mit auf-
gerissenem Rachen sondern mit geschlossenem Maul. Daß dieser Zug
jedoch nicht eine kretische Variante ist sondern ebenfalls im Orient
vorgebildet ist, zeigt ein steinerner Teller aus Mari28. Von den
26 Die von dem Löwen gehaltene Schale ist flach, die von der Hand getragene tief;
„beide Möglichkeiten laufen nebeneinander her, es gibt keine Entwicklung von
flachen zu tiefen Schalen, die Rückschlüsse auf eine chronologische Entwicklung
zuließe“ (Freyer-Schauenburg a. 0. 102).
27 Mikazuki, Cat. of Near Eastern and European Antiquities I (Tokio 1964) S. 6
Nr. 2 „Red steatite vessel lion (fragment) from Tanjara (Gab) North Syria.
9.-8. cent. B. C. (Assyrian Hittite Art)“. H. 8,5 cm, L. 10,5 cm.
28 A. Parrot, Syria 16 (1935) 131 Abb. 13; dazu Barnett, Nimrud Ivories 92.
 
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