Kretische Löwenschale des siebten Jahrhunderts v. Chr. 23
drei Stufen ist indessen - trotz aller Anregungen aus dem Orient -
die Tendenz zu spüren, mehr das Ethos des Löwen, sein gespannt-
agressives Wesen, zum Ausdruck zu bringen, als seine äußere Ge-
stalt49. Die tönernen Löwenköpfe aller drei genannten Stufen be-
wahren gegenüber den orientalischen Vorbildern viel Selbständiges.
Sie zeigen in diesem kurzen Zeitraum von nur wenigen Jahrzehnten
eine auf immanenten Kräften beruhende, erstaunlich rasche, in ihrer
Vehemenz dem Orient fremde Stilentwicklung.
Zur V erwendung der Löwenschalen
Welche Verwendung hatten die orientalischen Löwenschalen, und
wozu diente, fragen wir weiter, die kretische Löwenschale in Hei-
delberg? Für die orientalischen Schalen darf die frühere Deutung
auf Räuchergefäße heute als überholt gelten50. Die erhaltenen Bei-
spiele zeigen keinerlei Brandspuren. Auch wäre das Material derer,
die aus Elfenbein sind oder aus blauem Glas mit Goldfolie ausgelegt,
für Räucherschalen denkbar ungeeignet. Eine andere Deutung sieht
in ihnen zur Libation bestimmte Mündungsstücke von Salbenbe-
hältern51. Ein solcher Behälter, etwa ein im Innern ausgebohrter
Holztubus, der an einem Ende ein verschließbares Einflußloch, am
anderen die Schale als Ausguß aufwies, ist freilich noch an keinem
Fundplatz zutage gekommen. Ein anderer Ergänzungsvorschlag
sieht in diesen Schalen die Ausgüsse von ölhörnern, wie sie im zwei-
ten Jahrtausend unter den Funden im Vorderen Orient und in Ägyp-
ten begegnen, auf ägyptischen Wandgemälden auch dargestellt wur-
den. Als oberer Abschluß dieser Hörner sollen nach schriftlicher
Überlieferung in den Amarnabriefen Stöpsel aus Ebenholz, Knochen
oder Edelstein verwendet worden sein. Mit den „Stöpseln“, so wird
angenommen, seien die Ausgußschalen gemeint. „Das sich anschlie-
ßende Horn mag häufig aus Holz gefertigt worden sein, so daß nichts
49 Vor kurzem hat I. A. Sakellarakis einen tönernen Pantherkopf bekannt ge-
macht, der aus unbeobachteten Grabungen in Arkades stammt und in das
Museum in Iraklion gelangte. Deltion, Chronika 20 (1964 [1968]) 561 Taf. 707 y
(hier Taf. 20,1). Er gehört in den Kreis der hier behandelten Denkmäler und
dürfte in etwas früherer Zeit als die Heidelberger Löwenschale, etwa um 670/60,
entstanden sein; vgl. hier 41 (Nachtrag)
50 Freyer-Schauenburg a. O. 101.
51 R. Amiran, JNES 21 (1962) 161 ff.; Freyer-Schauenburg a. O. 101.
drei Stufen ist indessen - trotz aller Anregungen aus dem Orient -
die Tendenz zu spüren, mehr das Ethos des Löwen, sein gespannt-
agressives Wesen, zum Ausdruck zu bringen, als seine äußere Ge-
stalt49. Die tönernen Löwenköpfe aller drei genannten Stufen be-
wahren gegenüber den orientalischen Vorbildern viel Selbständiges.
Sie zeigen in diesem kurzen Zeitraum von nur wenigen Jahrzehnten
eine auf immanenten Kräften beruhende, erstaunlich rasche, in ihrer
Vehemenz dem Orient fremde Stilentwicklung.
Zur V erwendung der Löwenschalen
Welche Verwendung hatten die orientalischen Löwenschalen, und
wozu diente, fragen wir weiter, die kretische Löwenschale in Hei-
delberg? Für die orientalischen Schalen darf die frühere Deutung
auf Räuchergefäße heute als überholt gelten50. Die erhaltenen Bei-
spiele zeigen keinerlei Brandspuren. Auch wäre das Material derer,
die aus Elfenbein sind oder aus blauem Glas mit Goldfolie ausgelegt,
für Räucherschalen denkbar ungeeignet. Eine andere Deutung sieht
in ihnen zur Libation bestimmte Mündungsstücke von Salbenbe-
hältern51. Ein solcher Behälter, etwa ein im Innern ausgebohrter
Holztubus, der an einem Ende ein verschließbares Einflußloch, am
anderen die Schale als Ausguß aufwies, ist freilich noch an keinem
Fundplatz zutage gekommen. Ein anderer Ergänzungsvorschlag
sieht in diesen Schalen die Ausgüsse von ölhörnern, wie sie im zwei-
ten Jahrtausend unter den Funden im Vorderen Orient und in Ägyp-
ten begegnen, auf ägyptischen Wandgemälden auch dargestellt wur-
den. Als oberer Abschluß dieser Hörner sollen nach schriftlicher
Überlieferung in den Amarnabriefen Stöpsel aus Ebenholz, Knochen
oder Edelstein verwendet worden sein. Mit den „Stöpseln“, so wird
angenommen, seien die Ausgußschalen gemeint. „Das sich anschlie-
ßende Horn mag häufig aus Holz gefertigt worden sein, so daß nichts
49 Vor kurzem hat I. A. Sakellarakis einen tönernen Pantherkopf bekannt ge-
macht, der aus unbeobachteten Grabungen in Arkades stammt und in das
Museum in Iraklion gelangte. Deltion, Chronika 20 (1964 [1968]) 561 Taf. 707 y
(hier Taf. 20,1). Er gehört in den Kreis der hier behandelten Denkmäler und
dürfte in etwas früherer Zeit als die Heidelberger Löwenschale, etwa um 670/60,
entstanden sein; vgl. hier 41 (Nachtrag)
50 Freyer-Schauenburg a. O. 101.
51 R. Amiran, JNES 21 (1962) 161 ff.; Freyer-Schauenburg a. O. 101.