Kretische Löwenschale des siebten Jahrhunderts v. Chr.
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Bein es sind, und es würde so verständlich, daß von diesen Utensilien
jeweils nur das Mündungsstück, nicht aber der Schlauchbehälter ge-
funden wurde.
Läßt sich der kretischen Löwenschale in Heidelberg ihre einstige
Verwendung ablesen und lassen sich daraus etwa Rückschlüsse auf
den Gebrauch der orientalischen Vorbilder ziehen? Unsere Schale
hat, wie wir sagten, einen nach innen vorspringenden Rand. Es ist
der gleiche Rand, wie ihn die Schale des Löwen von Arkades auf-
weist, der im Kuppelgrab R gefunden wurde. Im selben Grabe fan-
den sich zwei weitere kleine Schalen von der gleichen Art, mit ein-
wärts springendem Rand55. Diese Form des Randes macht es aus-
geschlossen, daß diese Schalen zum Trinken oder für Libationen ver-
wendet wurden. Sie weist die Schalen vielmehr in den Bereich der
Balsamarien oder Exaleiptra56, also der Gefäße für Salben oder Duft-
öl, das so kostbar war, daß es nur in kleinen Mengen verwendet
wurde und nicht verschüttet werden durfte.
Wie funktionierte der kretische Salbölbehälter in Heidelberg?
Im Falle des Löwen von Arkades nahm Doro Levi an: „The water
spouted from the lion’s mouth into a basin held between his paws“57.
Ob im Maul des Löwen eine Öffnung war, läßt sich am Original im
Museum in Iraklion nicht mehr feststellen; der Rachen ist durch mo-
derne Restaurierung mit Gips gefüllt. Daß im Maul einst eine Öff-
nung war, ist nach der Aussage von D. Levi anzunehmen, dann frei-
lich nicht, um Wasser daraus zu speien. Wie sollte der Löwe das auch
tun? Hat er doch vorne eine Öffnung, die mit der Schale kommuni-
ziert. Das Loch im Maul - ein kleines Loch genügte - diente dann
vielmehr dazu, Luft einzulassen, damit die Flüssigkeit aus dem Lö-
wenbehälter durch das Loch unter dem Rand der Schale leichter her-
vorquellen konnte; dies zumal, wenn es sich nicht um Wasser, son-
dern um Salböl handelte.
Im Falle der Heidelberger Löwenschale drängt sich die folgende
Vermutung auf: Der Aufsatz über dem Behälter war, wie schon ge-
sagt, kein massiver Knauf, sondern hohl; das heißt, er hatte oben eine
Öffnung und war also eine Tülle. Ein kleines Loch genügte auch hier.
55 Arkades, R 65 Abb. 273 und R 73 Abb. 278.
56 Vgl. I. Scheibler, Exaleiptra, Jdl. 79 (1964) 72 ff.
57 Hesperia 14 (1945) 28 zu Taf. 25. Daß der Löwe als Wasserspeier dieser Früh-
zeit nicht unbekannt war, zeigt der Kalkstein-Löwe von Olympia. G. Treu 01.
III 26 Abb. 23 Taf. 5,1-2; F. Crome, Mnemosynon Wiegand 47 ff. Taf. 7. 9. 10;
Gabelmann, Löwenbild, passim Taf. 1,2 und 3. 32,1.
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Bein es sind, und es würde so verständlich, daß von diesen Utensilien
jeweils nur das Mündungsstück, nicht aber der Schlauchbehälter ge-
funden wurde.
Läßt sich der kretischen Löwenschale in Heidelberg ihre einstige
Verwendung ablesen und lassen sich daraus etwa Rückschlüsse auf
den Gebrauch der orientalischen Vorbilder ziehen? Unsere Schale
hat, wie wir sagten, einen nach innen vorspringenden Rand. Es ist
der gleiche Rand, wie ihn die Schale des Löwen von Arkades auf-
weist, der im Kuppelgrab R gefunden wurde. Im selben Grabe fan-
den sich zwei weitere kleine Schalen von der gleichen Art, mit ein-
wärts springendem Rand55. Diese Form des Randes macht es aus-
geschlossen, daß diese Schalen zum Trinken oder für Libationen ver-
wendet wurden. Sie weist die Schalen vielmehr in den Bereich der
Balsamarien oder Exaleiptra56, also der Gefäße für Salben oder Duft-
öl, das so kostbar war, daß es nur in kleinen Mengen verwendet
wurde und nicht verschüttet werden durfte.
Wie funktionierte der kretische Salbölbehälter in Heidelberg?
Im Falle des Löwen von Arkades nahm Doro Levi an: „The water
spouted from the lion’s mouth into a basin held between his paws“57.
Ob im Maul des Löwen eine Öffnung war, läßt sich am Original im
Museum in Iraklion nicht mehr feststellen; der Rachen ist durch mo-
derne Restaurierung mit Gips gefüllt. Daß im Maul einst eine Öff-
nung war, ist nach der Aussage von D. Levi anzunehmen, dann frei-
lich nicht, um Wasser daraus zu speien. Wie sollte der Löwe das auch
tun? Hat er doch vorne eine Öffnung, die mit der Schale kommuni-
ziert. Das Loch im Maul - ein kleines Loch genügte - diente dann
vielmehr dazu, Luft einzulassen, damit die Flüssigkeit aus dem Lö-
wenbehälter durch das Loch unter dem Rand der Schale leichter her-
vorquellen konnte; dies zumal, wenn es sich nicht um Wasser, son-
dern um Salböl handelte.
Im Falle der Heidelberger Löwenschale drängt sich die folgende
Vermutung auf: Der Aufsatz über dem Behälter war, wie schon ge-
sagt, kein massiver Knauf, sondern hohl; das heißt, er hatte oben eine
Öffnung und war also eine Tülle. Ein kleines Loch genügte auch hier.
55 Arkades, R 65 Abb. 273 und R 73 Abb. 278.
56 Vgl. I. Scheibler, Exaleiptra, Jdl. 79 (1964) 72 ff.
57 Hesperia 14 (1945) 28 zu Taf. 25. Daß der Löwe als Wasserspeier dieser Früh-
zeit nicht unbekannt war, zeigt der Kalkstein-Löwe von Olympia. G. Treu 01.
III 26 Abb. 23 Taf. 5,1-2; F. Crome, Mnemosynon Wiegand 47 ff. Taf. 7. 9. 10;
Gabelmann, Löwenbild, passim Taf. 1,2 und 3. 32,1.