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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1973, 4. Abhandlung): Die neuen Menanderpapyri und die Originalität des Plautus: vorgetragen am 9. Dez. 1972 — Heidelberg, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.44332#0027
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Die neuen Menanderpapyri und die Originalität des Plautus

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Fischer in seinem Netz einen Koffer herauszieht, den er für sich be-
halten will. Daraufhin stellt er ihn folgendermaßen zur Rede: «Ich
habe einen gesehen, der etwas gestohlen hat. Ich kannte seinen Her-
ren, und ich sagte zu ihm: <Wenn du mir die Hälfte deiner Beute gibst,
werde ich dich nicht anzeigen>. Er hat mir darauf noch keinen Be-
scheid gegeben. Was meinst du, sollte er mir geben ? Doch die Hälf-
te?» Treuherzig erwidert der Fischer: «Nein, noch mehr, denn wenn
er das nicht gibt, wird man es dem Herrn sagen müssen.» Worauf der
Sklave erwidert: «Paß jetzt gut auf, das alles geht nämlich dich an»:
nunc advorte animum namque hoc omne attinet ad te.
Diese Variante, die dadurch charakterisiert ist, daß die gleichnis-
hafte Rede in dramatisch wirksamer Form zur Überführung, Ent-
larvung, Bestrafung oder Bekehrung eines Menschen, der sich schul-
dig gemacht hat, führt, ist wohl die allerhäufigste. Wir begegnen ihr
nicht nur im Drama, sondern in den verschiedensten Gattungen, im
Märchen, in der Novelle, im Alten und Neuen Testament, in der Ge-
schichtschreibung, in der Diatribe und Paränese, in allen Formen der
Rede, wo der angesprochene Partner zur Einsicht oder zum Bekennt-
nis seiner Schuld gebracht werden soll, indem er, von der Trübung
durch die Subjektivität befreit, den objektiven Tatbestand erkennt
und so zur Selbsterkenntnis und Selbstverurteilung kommt. Der Sinn
der gleichnishaften Rede ist dann, wie schon Breitinger20 formu-
lierte, «die Menschen ganz unmerklich und gleichsam wider Willen
auf ihr eigenes Tun und Lassen aufmerksam zu machen und ihnen
einen unparteiischen Richterspruch wider sich selbst abzunötigen».
Sie führt dazu, «daß man fremdes Verhalten distanziert beurteilen
kann und es dann als das eigene erkennen mu߻21. Den psychologi-
schen Grund hat Martin Luther mit erfrischender Klarheit in der
Vorrede zu seiner Fabelsammlung formuliert: «Die Wahrheit ist das
unleidlichste Ding auf Erden.»22 Kein Mensch will die Wahrheit hö-
20 Johann Jacob Breitinger, Kritische Dichtkunst, Faksimiledruck nach der Aus-
gabe von 1740. Mit einem Nachwort von Wolfgang Bender, 2 Bd., Stuttgart 1966,
S. 182.
21 Fabeln, Parabeln und Gleichnisse, Beispiele didaktischer Literatur, hrsg., einge-
leitet und kommentiert von Reinhard Dithmar, DTV, Wiss. Reihe, 1970, S. 18.
Einleitung und Kommentar enthalten wichtige Bemerkungen zum Problem und
zur wissenschaftlichen Literatur.
22 Martin Luthers Fabeln, hrsg. von W. Steinberg, Halle/Saale 1961, zitiert bei
Dithmar, a. O. S. 21.
 
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