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Gärtner, Hans Armin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1974, 5. Abhandlung): Cicero und Panaitios: Beobachtungen zu Ciceros "De officiis" ; vorgel. am 12. Jan. 1974 v. Viktor Pöschl — Heidelberg: Winter, 1974

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https://doi.org/10.11588/diglit.45448#0054
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Hans Armin Gärtner

Cicero sieht also hier weniger das Wirken des πρέπον, sondern
sucht eine bestimmte römische Haltung; er will ins Römische über-
setzen. Darum verschob sich im Dichtervergleich der Blick vom
Beurteilen der Rolle durch den Dichter zum Spielen der Rolle durch
den Schauspieler. Vielleicht war auch von Belang, daß für den Redner
das Entwerfen der Rolle und das Darstellen in einer Person zu-
sammenfielen70.

Vergleich der Methode bei der Einführung des <honestum>, des
<utile> und des <decorum>
Bei der Einführung des <honestum> (vgl. S. 18ff.) wurde empirisch
aus den Bestrebungen der Menschen die <forma honesth hergeleitet.
Sie wurde dann dogmatisch-systematisch in die vier Kardinal-
tugenden entfaltet; schließlich werden (1,15 Mitte) daraus bestimmte
Arten der Pflichten abgeleitet. Das ist die Anwendung, und die
Methode ist deduktiv.
Bei der Einführung des <utile> (vgl. S. 24-26, bes. S. 26) ging die
Argumentation ebenfalls empirisch davon aus, daß dem Schutz des
Menschenlebens die Menschen am meisten dienen, aber auch den
größten Schaden verursachen können; daraus ergibt sich der Satz:
<proprium hoc statuo esse virtutis, conciliare animos hominum et ad
usus suos adiungere>. Dieser Satz wurde (11,18) dogmatisch-syste-
matisch in einzelne Tugenden entfaltet. Statt von verschiedenen
Arten der Pflicht war dort die Rede von <rationes> (11,19), mit denen
man den Eifer der Menschen für sich gewinnt. Dabei taucht (§ 21)
das in § 18 aufgestellte System teilweise wieder auf. Sollte man nicht
von deduktiver Methode sprechen können, so doch gewiß von
Anwendung des in § 17 gewonnenen Satzes und seiner systematischen
Entfaltung in § 18.
Diesen Dreischritt der Gedankenführung kann man auch bei der
Einführung des <decorum> finden. Ursprünglich begannen, wie wir
sahen, die Darlegungen dort mit dem empirischen Nachweis, daß
es das <decorum> in allen Tugenden gibt. Wir haben deutlich auch
dem weitgehend von ihm selbst gestalteten 3. Buch führt er die römische Vor-
stellung des <vir bonus> ein. Hinzuweisen ist hier auch auf de off. 1,142, wo
Cicero das enger bestimmte Wort εύταξία mit dem weiteren <modestia> wieder-
gibt.
70 Vgl. Cic. Orator 74.
 
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