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Ernst A. Schmidt
Verse 1-12 ist Vergils Berufung auf den <Tamariskencharakter> seiner
Dichtung und die Ablehnung epischer Verherrlichung des Varus. Die
vierte Ekloge überwindet als <Konsulsbukolik> in der Spiegelung eines
zukünftigen Epos den Tamariskencharakter der bisherigen Bukolik
(ecl. 4,2). Ekloge 8 dagegen kehrt nicht allein zur Tamariske zurück,
sondern überhöht sie in wunderbarer Verwandlung: «pinguia cortici-
bus sudent electra myricae» (v. 54). D. h. die Tamariskenbukolik hat
im Selbstbewußtsein des Hirtensängers eine Würde erhalten, die sie aus
der benachteiligenden Gegenüberstellung mit der Konsulsbukolik in
ecl. 4 befreit und wieder selbständig macht, ja, sie Wunder vollbrin-
gen läßt, wie sie in ecl. 4 (vgl. z. B. v. 30) Ausdruck sich verwandelnder
Welt sind. Ecl. 10,13 schließlich läßt die Tamarisken fraglos, ohne Ver-
teidigung und auch ohne Werbung, für die bukolische Welt stehen.
Im Zusammenhang des genannten Verses in ecl. 8 steht auch «sit
Tityrus Orpheus» (v. 55): der bukolische Sänger weiß sich im Lied
verzweifelter Liebe als ein Orpheus. Tityrus: der Name fehlt in der
frühesten (ecl. 2) und in den beiden letzten (ecl. 10 und 7) Eklogen.
Schön läßt sich sein Anwachsen aus untergeordneter Hüterolle zum
programmatischen Vertreter bukolischen Dichtens im Weiterschreiten
der Eklogendichtung, von ecl. 3,20.96 und 5,12 zu 9,23 f., von ecl. 1 zu
ecl. 6,4, verfolgen. Den letzten Schritt stellt ecl. 8 dar, die über ecl. 4
hinweg auf 6 zurückgreift. Denn wieder wird hier die vierte Ekloge
im gleichen Sinn wie in den bisher betrachteten Versen umgebogen.
Dort, in ecl. 4,55 ff., hatte Vergil gehofft, Orpheus mit einem Epos, als
Epiker zu besiegen; jetzt ist der Bukoliker selbst Orpheus. In ecl. 6 aber
hatte Tityrus das Lied des Silen wiedergegeben, dessen Wirkung über
die des Orpheus gestellt worden war (v. 30). Orpheus kommt tat-
sächlich, ähnlich wie «myricae», außer in ecl. 3,46, nur in den zeit-
lich einander folgenden Eklogen 6, 4 und 8 vor. Auch hier ist also ecl. 8
Rückkehr gegen ecl. 4 zu ecl. 6, nur daß jetzt sogar jeder Vergleich mit
anderer Dichtung, auch der mit Orpheus selbst, fehlt, und die Bukolik
umfassend und beherrschend, gleichsam absolut, sich selbst als or-
phisch setzt.
Daß in ecl. 8,52-56 Motive aus ecl. 4 aufgenommen sind, ist auch
sonst schon beobachtet, aber anders gedeutet worden. Perret8 merkt
zu diesen Versen an: «11 est curieux, que, dans ce passage desespere,
Virgile n’ait pas evite les traits qui semblent caricature ou derision des
espoirs qu’il a lui-meme naguere formules.» Und A. Richter fährt nach
J. Perret (ed.), S. 90 f.
Ernst A. Schmidt
Verse 1-12 ist Vergils Berufung auf den <Tamariskencharakter> seiner
Dichtung und die Ablehnung epischer Verherrlichung des Varus. Die
vierte Ekloge überwindet als <Konsulsbukolik> in der Spiegelung eines
zukünftigen Epos den Tamariskencharakter der bisherigen Bukolik
(ecl. 4,2). Ekloge 8 dagegen kehrt nicht allein zur Tamariske zurück,
sondern überhöht sie in wunderbarer Verwandlung: «pinguia cortici-
bus sudent electra myricae» (v. 54). D. h. die Tamariskenbukolik hat
im Selbstbewußtsein des Hirtensängers eine Würde erhalten, die sie aus
der benachteiligenden Gegenüberstellung mit der Konsulsbukolik in
ecl. 4 befreit und wieder selbständig macht, ja, sie Wunder vollbrin-
gen läßt, wie sie in ecl. 4 (vgl. z. B. v. 30) Ausdruck sich verwandelnder
Welt sind. Ecl. 10,13 schließlich läßt die Tamarisken fraglos, ohne Ver-
teidigung und auch ohne Werbung, für die bukolische Welt stehen.
Im Zusammenhang des genannten Verses in ecl. 8 steht auch «sit
Tityrus Orpheus» (v. 55): der bukolische Sänger weiß sich im Lied
verzweifelter Liebe als ein Orpheus. Tityrus: der Name fehlt in der
frühesten (ecl. 2) und in den beiden letzten (ecl. 10 und 7) Eklogen.
Schön läßt sich sein Anwachsen aus untergeordneter Hüterolle zum
programmatischen Vertreter bukolischen Dichtens im Weiterschreiten
der Eklogendichtung, von ecl. 3,20.96 und 5,12 zu 9,23 f., von ecl. 1 zu
ecl. 6,4, verfolgen. Den letzten Schritt stellt ecl. 8 dar, die über ecl. 4
hinweg auf 6 zurückgreift. Denn wieder wird hier die vierte Ekloge
im gleichen Sinn wie in den bisher betrachteten Versen umgebogen.
Dort, in ecl. 4,55 ff., hatte Vergil gehofft, Orpheus mit einem Epos, als
Epiker zu besiegen; jetzt ist der Bukoliker selbst Orpheus. In ecl. 6 aber
hatte Tityrus das Lied des Silen wiedergegeben, dessen Wirkung über
die des Orpheus gestellt worden war (v. 30). Orpheus kommt tat-
sächlich, ähnlich wie «myricae», außer in ecl. 3,46, nur in den zeit-
lich einander folgenden Eklogen 6, 4 und 8 vor. Auch hier ist also ecl. 8
Rückkehr gegen ecl. 4 zu ecl. 6, nur daß jetzt sogar jeder Vergleich mit
anderer Dichtung, auch der mit Orpheus selbst, fehlt, und die Bukolik
umfassend und beherrschend, gleichsam absolut, sich selbst als or-
phisch setzt.
Daß in ecl. 8,52-56 Motive aus ecl. 4 aufgenommen sind, ist auch
sonst schon beobachtet, aber anders gedeutet worden. Perret8 merkt
zu diesen Versen an: «11 est curieux, que, dans ce passage desespere,
Virgile n’ait pas evite les traits qui semblent caricature ou derision des
espoirs qu’il a lui-meme naguere formules.» Und A. Richter fährt nach
J. Perret (ed.), S. 90 f.