Zur Chronologie der Eklogen Vergils
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zustimmendem Zitat Perrets fort9, die Wahl dieser Motive zeige gerade
die Tiefe des Leids, der zerstörerischen Leidenschaft. «L’äge d’or
n’aurait pas de sens pour lui, puisqu’il en serait exclu. Indifferent
meme au miracle, il va mourir.» Und an anderer Stelle10, zu v. 53 f.
(Orpheus): in diesen Versen, die wie ein Echo des berühmten Ab-
schnitts ecl. 4,55 f. wirkten, sei aus Hoffnung Bitterkeit und Spott ge-
worden. Das Adynaton illustriere die Idee der «inefficacite du carmen».
Diese Deutungen beruhen auf der mir unrichtig erscheinenden Auffas-
sung, das Liebeslied des Ziegenhirten solle eine Wirkung ähnlich der
der carmina der Zauberin haben. Der Gesang ist aber von vornherein
Klage eines Sterbenden (v. 19 f.), und einen Zweck im Sinn der Ein-
wirkung auf die Geliebte hat sein Sänger nicht verfolgt. Die Verse 52 ff.
beschreiben Wunder, die analog zu der Wirkung des Liebesleids auf
den Ziegenhirten sind: das ist die Macht der Liebe, daß sie einen Hir-
ten zu einem großen Sänger machen kann. Wie goldene Äpfel aus har-
ten Eichen, wie Bernstein aus Tamariskenrinde, so quillt unter der
Macht des grausamen Eros das Lied aus dem Hirten, so daß ein Tity-
rus zu Orpheus wird. Dieses Wunder ist Wirklichkeit; orphische Wir-
kung des Gesangs bezeugen die Verse 2-4 der Ekloge.
Es wäre eine lohnende Aufgabe, die Umsetzung von Motiven der
vierten Ekloge in der achten und auch in der siebenten im Zusammen-
hang zu behandeln. Das generelle Ergebnis wäre wohl, daß in den bei-
den späten Eklogen die bukolische Welt, der bukolische Gesang das
darstellen und leisten, was in ecl. 4 symbolischer Ausdruck der Ver-
wandlung der Welt war, und daß nicht nur die Welthaltigkeit von ecl. 4
gänzlich verschwunden ist, sondern die letzten drei Stücke sogar weni-
ger Welt als die ersten sechs oder drei Eklogen haben.
So kehren ecl. 4,30: «et durae quercus sudabunt roscida mella» und
24: «occidet et serpens» als Ausdruck der Würde und Macht des Ge-
sangs in ecl. 8,52f.: «aurea durae / mala ferant quercus» und 71: «fri-
gidus in pratis cantando rumpitur anguis» wieder11. So ist das «ipsae
. . . domum referent . . . capellae / ubera» von ecl. 4,21 f. verwandelt
8 a. O., S. 59.
10 a. O., S. 71 f.
11 Ecl. 8,71 greift zugleich auf ecl. 3,93: «frigidus ... latet anguis in herba» zurück.
So wenig wie C. Becker, Virgils Eklogenbuch, Hermes 83 (1955), S. 321 würde
ich die Schlange in ecl. 3 und die in ecl. 4 in Beziehung setzen, gäbe es nicht die
Schlange in ecl. 8. Erst ecl. 8 und mit ihr das komponierte Buch machen auch aus
4 eine Antwort auf 3: die Gefahr der Schlange (ecl. 3) beseitigt in ecl. 4 das Gol-
dene Zeitalter, in ecl. 8 der Gesang.
3*
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zustimmendem Zitat Perrets fort9, die Wahl dieser Motive zeige gerade
die Tiefe des Leids, der zerstörerischen Leidenschaft. «L’äge d’or
n’aurait pas de sens pour lui, puisqu’il en serait exclu. Indifferent
meme au miracle, il va mourir.» Und an anderer Stelle10, zu v. 53 f.
(Orpheus): in diesen Versen, die wie ein Echo des berühmten Ab-
schnitts ecl. 4,55 f. wirkten, sei aus Hoffnung Bitterkeit und Spott ge-
worden. Das Adynaton illustriere die Idee der «inefficacite du carmen».
Diese Deutungen beruhen auf der mir unrichtig erscheinenden Auffas-
sung, das Liebeslied des Ziegenhirten solle eine Wirkung ähnlich der
der carmina der Zauberin haben. Der Gesang ist aber von vornherein
Klage eines Sterbenden (v. 19 f.), und einen Zweck im Sinn der Ein-
wirkung auf die Geliebte hat sein Sänger nicht verfolgt. Die Verse 52 ff.
beschreiben Wunder, die analog zu der Wirkung des Liebesleids auf
den Ziegenhirten sind: das ist die Macht der Liebe, daß sie einen Hir-
ten zu einem großen Sänger machen kann. Wie goldene Äpfel aus har-
ten Eichen, wie Bernstein aus Tamariskenrinde, so quillt unter der
Macht des grausamen Eros das Lied aus dem Hirten, so daß ein Tity-
rus zu Orpheus wird. Dieses Wunder ist Wirklichkeit; orphische Wir-
kung des Gesangs bezeugen die Verse 2-4 der Ekloge.
Es wäre eine lohnende Aufgabe, die Umsetzung von Motiven der
vierten Ekloge in der achten und auch in der siebenten im Zusammen-
hang zu behandeln. Das generelle Ergebnis wäre wohl, daß in den bei-
den späten Eklogen die bukolische Welt, der bukolische Gesang das
darstellen und leisten, was in ecl. 4 symbolischer Ausdruck der Ver-
wandlung der Welt war, und daß nicht nur die Welthaltigkeit von ecl. 4
gänzlich verschwunden ist, sondern die letzten drei Stücke sogar weni-
ger Welt als die ersten sechs oder drei Eklogen haben.
So kehren ecl. 4,30: «et durae quercus sudabunt roscida mella» und
24: «occidet et serpens» als Ausdruck der Würde und Macht des Ge-
sangs in ecl. 8,52f.: «aurea durae / mala ferant quercus» und 71: «fri-
gidus in pratis cantando rumpitur anguis» wieder11. So ist das «ipsae
. . . domum referent . . . capellae / ubera» von ecl. 4,21 f. verwandelt
8 a. O., S. 59.
10 a. O., S. 71 f.
11 Ecl. 8,71 greift zugleich auf ecl. 3,93: «frigidus ... latet anguis in herba» zurück.
So wenig wie C. Becker, Virgils Eklogenbuch, Hermes 83 (1955), S. 321 würde
ich die Schlange in ecl. 3 und die in ecl. 4 in Beziehung setzen, gäbe es nicht die
Schlange in ecl. 8. Erst ecl. 8 und mit ihr das komponierte Buch machen auch aus
4 eine Antwort auf 3: die Gefahr der Schlange (ecl. 3) beseitigt in ecl. 4 das Gol-
dene Zeitalter, in ecl. 8 der Gesang.
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