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Bulst, Walther [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1975, 1. Abhandlung): Carmina Leodiensia — Heidelberg: Winter, 1975

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https://doi.org/10.11588/diglit.45454#0046
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Walther Bulst

alsbald anzutretenden reditus geschrieben. Nahere Umstande sind in
den carmina pauca nicht beriihrt. Der ‘Abschied furs Leben’ (9) wiirde
mifiverstanden, wenn man meinte, Marbod habe den Scheidenden
‘nicht wiederzusehen gewiinscht’. Die letzten Verse bestimmen das Ge-
nus der Disticha ais propempticon44.
Den Versen 2/3 nahern sich - wiederum Pentameter und folgender
Hexameter - die Verse 4/5 des vom anonymen Donator verfafiten
zweiten Carmen der Lutticher Handschrift45
Que potuit scripsit carmina pauca tibi.
Pauca tue laudi data carmina si placet audi,
bis zur Halfte ihres Wortlautes, mit Anapher derselben beiden Worte
carmina pauca je im Hexameter. Die Parallele geht weit hinaus iiber
eine «curieuse analogie litterale»46; auf einer Seite ist von der anderen
entlehnt worden.
Marbods poetische Kunst hat keiner Entlehnung bedurft, um seine
fiinf Disticha zustande zu bringen; hingegen die Bemiihungen des Do-
nator um die Versification seines Carmen haben sich schon am gra-
phischen und metrischen Befund erwiesen47. War aber Marbods pro-
pempticon ihm ebenso zufallig bekannt geworden, wie Baldricus odas
Hildeberts gelesen hatte?48 - oder wie Marbod selber (durch welchen
casus auch immer) den sermo des Gauterius?
Es liegt naher, den Donator, der seine carmina pauca iiberschrieben
hat: ‘Amicus suo fidelis dilecto’, ais eben den ‘quidam amicus’, ‘ami-
cus hospes’ anzusehen, an welchen Marbod sein propempticon gerichtet
hat. Indem er Worte Marbods zu seinen Worten machte, hat er doch
ausdriicklich nicht sich dem unendlich Verehrten gleichgestellt: Qwe

44 Die Uberschrift sowohl der Cotton-Handschrift wie der ed.pr.: ‘Ad amicum
hospitem’ ist nicht aus dem Text gezogen, der von einem jetzigen hospitium
gar nicht spricht. Auf die Frage nach Absender- bezw. Verfasser-Oberlieferung
der Uberschriften, insbesondere auch der ed.pr., ist hier nicht einzugehn.
45 Oben S.10.
46 Delbouille, p.221 ann.
47 Oben S.22.
48 der ihm schrieb
Casus iocundas nuper michi contulit odas,
Audeberte, tuo de nomine pretitulatas,
Quas ego furatas studiosius ecce reuoluo, etc.
(furatas wohl, indem er davon Abschrift genommen hatte); carm.87 (CXLIX):
‘Audeberto Cenomannensi archidiacono.’
 
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