Identität und Objektivität
13
gesprochen. Seit seiner Rousseauistischen Wende hatte Kant selber
der Transzendentalphilosophie nur noch eine dienende Rolle zu-
erkannt: Sie ist notwendig, um die wesentlichsten Interessen der
Menschheit verteidigen zu können, die allesamt voraussetzen, daß sich
die Idee der Freiheit rechtfertigen läßt. Wer aber zu diesem Zweck
ein ganz neues Feld der Untersuchung entdeckte und betrat, es aber
doch nicht erschloß, der zieht die unwiderstehlich herbei, die Theore-
tiker aus Leidenschaft sind, — mit ihnen aber auch die Interpreten, die
auf die Konturen des Terrains, so wie Kant sie selber gesehen hat,
helles Licht fallen lassen wollen.
Nahezu alle Theoretiker von Gewicht, die nach Kants Zeit lebten,
haben sich durch eigene Untersuchungen zu Kant ins Verhältnis
gesetzt. Dabei herrschten naturgemäß erläuternde Interpretations-
verfahren und Rekonstruktionen in der Nähe der eigenen Position
vor. Das intensive Interesse an Kants Werk hat schließlich auch eine
genetische Kantforschung auf den Weg gebracht, die über beinahe ein
Jahrhundert bis in unsere Zeit und vor allem in Deutschland wichtige
Resultate ergab, — die auch die Dokumente aus Kants Arbeit und
Lehre weitgehend aufschloß, wenn auch in manchmal erfolglosem
Wettlauf mit den Feuern der Kriege. Die Grundtexte Kants sind
dennoch bisher nur um Weniges verständlicher geworden. Erläuternde
Kommentare auch vom Umfang mehrerer Bände konnten in das
Gedankengefüge nicht eindringen, in dem sich zahlreiche Argument-
folgen indistinkt überlagern.
In dieser Situation hat die Kantliteratur der Angelsachsen, die
seit etwa 1960 schnell anwächst, wirkliche Fortschritte gebracht. Sie
entstand aus einem neuen Interesse an transzendental zu nennenden
Begründungsgängen, das seinerseits eine interne Folge der angelsäch-
sischen philosophischen Diskussion und der sich verstärkenden Kritik
am philosophischen Partikularismus von Austin und Wittgenstein
war1. Ihre Bedeutung hat man sich aber damit zu erklären, daß die
angelsächsische Philosophie seit Beginn des Jahrhunderts begriffs-
analytischen Fähigkeiten und der analytischen Kontrolle über Argu-
mente ein vorher unbekanntes Gewicht gab. Beide wurden nun in die
Lektüre von Kantischen Texten eingebracht, — zum ersten Mal auch
nicht mehr zum Zwecke von deren Destruktion, sondern aus syste-
matischer Nähe zu seiner Position und somit auch in der Absicht,
1 Trotz vieler neuer und wichtiger Titel sind die beiden Publikationen mit dem
größten philosophischen Gewicht noch immer Jonathan Bennett’s <Kant’s Analytio
(Cambridge 1966) und Peter Strawson’s <The Bounds of Sense> (London 1966).
13
gesprochen. Seit seiner Rousseauistischen Wende hatte Kant selber
der Transzendentalphilosophie nur noch eine dienende Rolle zu-
erkannt: Sie ist notwendig, um die wesentlichsten Interessen der
Menschheit verteidigen zu können, die allesamt voraussetzen, daß sich
die Idee der Freiheit rechtfertigen läßt. Wer aber zu diesem Zweck
ein ganz neues Feld der Untersuchung entdeckte und betrat, es aber
doch nicht erschloß, der zieht die unwiderstehlich herbei, die Theore-
tiker aus Leidenschaft sind, — mit ihnen aber auch die Interpreten, die
auf die Konturen des Terrains, so wie Kant sie selber gesehen hat,
helles Licht fallen lassen wollen.
Nahezu alle Theoretiker von Gewicht, die nach Kants Zeit lebten,
haben sich durch eigene Untersuchungen zu Kant ins Verhältnis
gesetzt. Dabei herrschten naturgemäß erläuternde Interpretations-
verfahren und Rekonstruktionen in der Nähe der eigenen Position
vor. Das intensive Interesse an Kants Werk hat schließlich auch eine
genetische Kantforschung auf den Weg gebracht, die über beinahe ein
Jahrhundert bis in unsere Zeit und vor allem in Deutschland wichtige
Resultate ergab, — die auch die Dokumente aus Kants Arbeit und
Lehre weitgehend aufschloß, wenn auch in manchmal erfolglosem
Wettlauf mit den Feuern der Kriege. Die Grundtexte Kants sind
dennoch bisher nur um Weniges verständlicher geworden. Erläuternde
Kommentare auch vom Umfang mehrerer Bände konnten in das
Gedankengefüge nicht eindringen, in dem sich zahlreiche Argument-
folgen indistinkt überlagern.
In dieser Situation hat die Kantliteratur der Angelsachsen, die
seit etwa 1960 schnell anwächst, wirkliche Fortschritte gebracht. Sie
entstand aus einem neuen Interesse an transzendental zu nennenden
Begründungsgängen, das seinerseits eine interne Folge der angelsäch-
sischen philosophischen Diskussion und der sich verstärkenden Kritik
am philosophischen Partikularismus von Austin und Wittgenstein
war1. Ihre Bedeutung hat man sich aber damit zu erklären, daß die
angelsächsische Philosophie seit Beginn des Jahrhunderts begriffs-
analytischen Fähigkeiten und der analytischen Kontrolle über Argu-
mente ein vorher unbekanntes Gewicht gab. Beide wurden nun in die
Lektüre von Kantischen Texten eingebracht, — zum ersten Mal auch
nicht mehr zum Zwecke von deren Destruktion, sondern aus syste-
matischer Nähe zu seiner Position und somit auch in der Absicht,
1 Trotz vieler neuer und wichtiger Titel sind die beiden Publikationen mit dem
größten philosophischen Gewicht noch immer Jonathan Bennett’s <Kant’s Analytio
(Cambridge 1966) und Peter Strawson’s <The Bounds of Sense> (London 1966).