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Uvo Hölscher
wäre. (Daß dies so nicht zutriffl, sondern Parmenides erst auf dem Wege
eines formal geführten Beweises dazu gelangt, daß «nichts nicht ist», lasse
ich hier unerörtert und verweise dafür auf den Kommentar meiner Par-
menides-Ausgabe.) Die dann folgende Deduktion der «Kennzeichen» des
Seienden —ungeworden, unvergänglich, homogen, unveränderlich, identisch —
beruhe dagegen auf der Übertragung von Begriffen des existentialen Seins
auf Prädikationen des So-seins.
Dieser Auffassung hat Calogero mit guten Gründen widersprochen (Studi
sull’ eleatismo, deutsche Übersetzung S. 18 f.). Er sieht den Ausgangspunkt
des Parmenides — sowohl seines Gedankens wie seiner Argumentation in
Fragment 2 — gerade in dem prädikativen Sein, und zwar in seiner verbalen
Form der Kopula, in der er den universellen Ausdruck der Realität des
Wahren entdeckt hatte. Dies logische Sein der prädikativen Affirmation habe
sich ihm aber sogleich als ein objektiv Reales ontologisch hypostasiert. In
der abschließenden Beschreibung des Seienden in den materiellen Formen
der Kugel erblickt Calogero eben die Folge dieser Ontologisierung des
Logischen.
Beide Methoden, Calogeros wie diejenige der er widerspricht, versuchen
den Begriff des parmenideischen Seienden zu verstehn, indem sie auf-
decken, was darin verwechselt ist. Sie erklären nicht, wieso Parmenides ver-
wechseln konnte. Sie setzen vielmehr voraus, daß er keinen klaren, und
jedenfalls einen wechselnden Sinn mit seinem Hauptbegriff gedacht hat; daß
wir jedoch über die Unterscheidungen verfügen, um die jeweils zugrunde
liegenden Bedeutungen, die er verwechselt hat, zu bestimmen.
Gegen diese Voraussetzung läßt sich aber einwenden, daß wir zuerst wissen
müßten, was Parmenides mit «sein» gemeint hat, um sagen zu können,
was er verwechselt hat.
In diesem Zirkel kann man versuchen, im Text des Parmenides Fuß zu
fassen, indem man Satz für Satz auf seine logischen Voraussetzungen und
Folgen bedenkt. Das ist vielfach getan worden, mit widersprechenden Er-
gebnissen, da zumal gleich die erste Einführung des Begriffs mit dem Satz:
«daß es ist», den Interpreten vor die Frage des Ganzen stellt. Hier soll ein
anderer Weg eingeschlagen werden. Ich will versuchen, von dem Punkt aus,
wo die verschiedenen Bedeutungen von sein zum erstenmal unterschieden
worden sind, von Aristoteles, den Weg rückwärts zu verfolgen, über Platon
und Protagoras zu Parmenides, um zu bestimmen, mit welchem Sinn von
Sein wir bei ihm rechnen — oder nicht rechnen können.
Die Betrachtungsweise ist also historisch und philologisch. Doch führt
die spekulative Qualität der Texte überall an eine Grenze — und leider
auch über sie hinaus — wo der Philologe, ohne gründliche analytische Schu-
lung, riskiert, philosophisch naiv zu reden. Ich wage trotzdem die folgenden
Bemerkungen vorzutragen, in der Überzeugung, daß philologische und philo-
sophische Interpretation einander gegenseitig helfen müssen, ihre methodi-
schen Voraussetzungen zu klären.
Uvo Hölscher
wäre. (Daß dies so nicht zutriffl, sondern Parmenides erst auf dem Wege
eines formal geführten Beweises dazu gelangt, daß «nichts nicht ist», lasse
ich hier unerörtert und verweise dafür auf den Kommentar meiner Par-
menides-Ausgabe.) Die dann folgende Deduktion der «Kennzeichen» des
Seienden —ungeworden, unvergänglich, homogen, unveränderlich, identisch —
beruhe dagegen auf der Übertragung von Begriffen des existentialen Seins
auf Prädikationen des So-seins.
Dieser Auffassung hat Calogero mit guten Gründen widersprochen (Studi
sull’ eleatismo, deutsche Übersetzung S. 18 f.). Er sieht den Ausgangspunkt
des Parmenides — sowohl seines Gedankens wie seiner Argumentation in
Fragment 2 — gerade in dem prädikativen Sein, und zwar in seiner verbalen
Form der Kopula, in der er den universellen Ausdruck der Realität des
Wahren entdeckt hatte. Dies logische Sein der prädikativen Affirmation habe
sich ihm aber sogleich als ein objektiv Reales ontologisch hypostasiert. In
der abschließenden Beschreibung des Seienden in den materiellen Formen
der Kugel erblickt Calogero eben die Folge dieser Ontologisierung des
Logischen.
Beide Methoden, Calogeros wie diejenige der er widerspricht, versuchen
den Begriff des parmenideischen Seienden zu verstehn, indem sie auf-
decken, was darin verwechselt ist. Sie erklären nicht, wieso Parmenides ver-
wechseln konnte. Sie setzen vielmehr voraus, daß er keinen klaren, und
jedenfalls einen wechselnden Sinn mit seinem Hauptbegriff gedacht hat; daß
wir jedoch über die Unterscheidungen verfügen, um die jeweils zugrunde
liegenden Bedeutungen, die er verwechselt hat, zu bestimmen.
Gegen diese Voraussetzung läßt sich aber einwenden, daß wir zuerst wissen
müßten, was Parmenides mit «sein» gemeint hat, um sagen zu können,
was er verwechselt hat.
In diesem Zirkel kann man versuchen, im Text des Parmenides Fuß zu
fassen, indem man Satz für Satz auf seine logischen Voraussetzungen und
Folgen bedenkt. Das ist vielfach getan worden, mit widersprechenden Er-
gebnissen, da zumal gleich die erste Einführung des Begriffs mit dem Satz:
«daß es ist», den Interpreten vor die Frage des Ganzen stellt. Hier soll ein
anderer Weg eingeschlagen werden. Ich will versuchen, von dem Punkt aus,
wo die verschiedenen Bedeutungen von sein zum erstenmal unterschieden
worden sind, von Aristoteles, den Weg rückwärts zu verfolgen, über Platon
und Protagoras zu Parmenides, um zu bestimmen, mit welchem Sinn von
Sein wir bei ihm rechnen — oder nicht rechnen können.
Die Betrachtungsweise ist also historisch und philologisch. Doch führt
die spekulative Qualität der Texte überall an eine Grenze — und leider
auch über sie hinaus — wo der Philologe, ohne gründliche analytische Schu-
lung, riskiert, philosophisch naiv zu reden. Ich wage trotzdem die folgenden
Bemerkungen vorzutragen, in der Überzeugung, daß philologische und philo-
sophische Interpretation einander gegenseitig helfen müssen, ihre methodi-
schen Voraussetzungen zu klären.