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Hölscher, Uvo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 3. Abhandlung): Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie: vorgetragen am 6. Februar 1971 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45460#0018
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16

III
Aber wie ist Calogero, und vor ihm Roß, darauf gekommen, daß hier der
Begriff der Existenz gemeint sei?
Seit Bonitzens Akademieabhandlung von 1853 «Über die Kategorien
des Aristoteles», mit der er sich gegen Trendelenburgs Herleitung der Kate-
gorien aus grammatischen Verhältnissen wendete, ist es die vorherrschende
Meinung, daß Aristoteles mit ihnen die «obersten Gattungen des Seienden»
angeben wollte.
Wenn wir von etwas Seiendem reden, das ist offenbar der Sinn des Aristoteles,
so verstehen wir darunter entweder ein Ding, oder eine Qualität, oder eine
Quantität, oder eine Relation, oder ein Wo, oder ein Wann usf. ... Über
das gesamte weite und mannigfache Bereich dessen, was uns durch die Er-
fahrung gegeben wird, soll also dadurch eine Übersicht verschafft werden,
daß dieses in seine obersten, allgemeinsten Geschlechter eingeteilt wird (Bonitz
S. 605).
Diese ausdrücklich unmetaphysisch gemeinte Auffassung hat Brentano («Von
der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles», 1862) mit
der grammatisch-logischen Interpretation Trendelenburgs metaphysisch zu
versöhnen versucht, indem er zweierlei erklärt (S. 82 und 102, vgl. S. 137):
Die Kategorien . . . sind selbst reelle Begriffe, όντα καθ’ αύτο έξω της
διάνοιας.
Die Kategorien sind die höchsten Prädikate der ersten Substanz.
Die ungeschickte griechische Formulierung, in der καθ’ αύτο seine Rück-
bezogenheit auf ein Subjekt verliert, ist Brentanos eigene. Sie verrät, wie er
es verstanden hat: als das Objektive, καθ’ αύτο wird zum Synonym für
τα έξω und zum Gegenbegriff von έν τη διανοιςι: ein Gegensatz, der dem
Aristoteles zur Unterscheidung des Seins als Wahr-sein dienen wird (siehe
unten Seite 27), aber hier noch keine Rolle spielt. Man sieht, bei Brentano,
den neukantianischen Ansatz im Problem der Subjektivität. Er übersetzt
(S. 86): «Als solches (καθ’ αύτα) seiend wird genannt, was die Figuren
der Kategorie bedeutet» (man beachte den Singular). Das Seiende καθ’ αύτο
sind demnach die sämtlichen «Realitäten» (S. 137) in ihrem je eigentümlichen
Sein, eingeteilt in die Kategorien als die obersten Gattungen nach ihrer
«verschiedenen Weise der Existenz in der ersten Substanz» (S. 146). Das
heißt zwar, nach ihm, zugleich: nach den Arten der Prädikation; ausdrück-
lich aber wehrt er die Auffassung ab, daß die Kategorien nur «die Arten
der Prädizierung seien»: sie sind selber das Seiende. Hier wird also, trotz
ihrem Prädikatscharakter, das Sein der Kategorien nicht als ein prädi-
katives, sondern als das «ihnen zukommende» Sein verstanden.
Sofern es sich hier um den damals zuerst in aller Schärfe aufgeworfenen
und bis heute nicht entschiedenen Streit um den logischen oder ontologischen
Charakter der Kategorien handelt, möchte man dem Vermittlungsversuch
 
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