Metadaten

Hölscher, Uvo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 3. Abhandlung): Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie: vorgetragen am 6. Februar 1971 — Heidelberg: Winter, 1976

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45460#0020
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
18

Uvo Hölscher

Hier vergleicht Aristoteles tatsächlich die Bedeutungen des τι έστιν mit den
verschiedenen Bedeutungen des kategorialen Seins, in offenbarer Rück-
beziehung auf Δ 7. (Ich übersetze, weil die Argumentation nicht leicht durch-
sichtig ist, und weil ein Punkt daraus für einen besonderen Zusammenhang
gleich noch einmal wichtig werden wird.)
Es geht in dem Kapitel um die Frage, wie das Wesen, το τι ήν είναι, zu
bestimmen sei. Von einem Wesen kann nur die Rede sein bei Gegenständen,
von denen es eine Definition gibt; dies sind die Species der Gattungen, also
die Substanzen. An dieser Stelle wirft Aristoteles die Frage auf, ob es nicht
eine Definition in anderem Sinne auch von anderem als nur den Substanzen
geben könne; wie ja auch das Was (το τι έστιν) in einer Weise die Substanz,
in anderer Weise auch jedes der kategorialen Prädikate bezeichnen könne —
siehe Topik I 9.
Denn so, wie auch das ist für alle (kategorialen Prädikate) gilt, aber nicht in
gleicher Weise, sondern für das eine primär, für die übrigen im nachgeord-
neten (abgeleiteten) Sinn, so gilt auch das Was-sein (το τι έστιν) im einfachen
Sinn (άπλως) für die Substanz, in gewissem Sinn auch für die übrigen. Denn
auch bei der Qualität können wir wohl fragen: Was ist das? so daß auch
die Qualität ein Was ist, aber nicht schlechthin; sondern wie vom Nicht-
seienden manche im verbal-logischen Sinn sagen: das Nicht-seiende ist —
(aber) nicht schlechthin, sondern: als (etwas) nicht seiend — so auch die
Qualität. Es ist zwar richtig, auch zu untersuchen, was man richtigerweise
sagen (λεγειν) kann, aber allerdings nicht weniger, wie es sich in Wirklichkeit
verhält. So auch hier: indem also das, was man sagen kann (το λεγόμενόν),
klar ist, so kommt in der gleichen Weise auch der Begriff des Wesens (το τι
ήν είναι) — gleich wie das Was-sein — primär und schlechthin der Substanz
zu, in nachgeordneter Weise auch den übrigen (Kategorien): nicht als Wesens-
begriff schlechthin, sondern als Qualität-sein, oder Quantität-sein (ποιώ ή
ποσω τι ήν ε’ιναι).
Hier werden die Begriffe sein, das Was und das Wesen tatsächlich stark
einander angenähert und fast synonym gebraucht. Aber die Subsumption
der kategorialen Prädikate unter oberste Gattungsbegriffe bleibt nicht die
letzte Antwort; Aristoteles dringt hier weiter vor. Es geht um das spezifische
Sein der nachgeordneten Kategorien und um die Frage, ob auch ihnen,
wie der ουσία, ein Wesen zukomme. Und die Antwort ist: «nicht schlechthin»,
aber «im nachgeordneten Sinn». Das «Nachgeordnete» kommt in der Sub-
sumption unter Gattungsbegriffe gerade nicht zum Vorschein, da diese jeweils
ein gleichgeordnetes Verhältnis zum τι έστι herstellt. Die Nachordnung findet
nur statt in der kategorialen Seinsaussage selber, wie sie in den gewöhnlichen
Prädikationen vorliegt: hier allein stellt sich die Frage, in welchem Sinne
das «gebildet» (oder «größer») eines Menschen ist. Und darum erläutert
Aristoteles, im Anschluß an den zitierten Passus, die Einheit des Seins-
begriff s in der Verschiedenheit des kategorialen Seins als weder «synonym»
noch «homonym», sondern als Einheit der Bezogenheit auf ein Eines, προς
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften