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Hölscher, Uvo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 3. Abhandlung): Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie: vorgetragen am 6. Februar 1971 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45460#0022
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IV
Dieser lange Umweg war nötig, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das
sich im Grund von selbst versteht. Denn wenn die erste Bedeutung das
zufällige Sein ist, dann muß wohl die zweite das notwendige Sein bezeich-
nen. Ich kehre also zu der anderen Bedeutung von καθ’ αύτο zurück, in
der es den Gegensatz zu κατα συμβεβηκος anzeigt und so gerade auch im Δ
als durchgehendes Unterscheidungsprinzip fungiert. Es bedeutet das wesens-
mäßige oder notwendige Verhältnis, in dem ein Prädikat zu einem Gegen-
stand steht: das, was dieser «an sich» oder «von sich aus» ist. Kein Anstoß
darf daran genommen werden, daß das reflexive αύτο logisch auf das
Prädikat, sachlich aber auf den Gegenstand zurückweist; dieser Unterschied
spielt für den aristotelischen Gebrauch des Terminus keine Rolle: s. 1025 a 31.
Καθ’ αύτα δε είναι λεγεται όσα σημαίνει τα σχήματα της κατηγορίας. Um
die Übersetzung auf sicheren Grund zu stellen, noch zwei sprachliche Be-
merkungen: λεγεται heißt hier nicht «wird genannt», sondern meint, wie in
Zeile 24 und am Anfang des Kapitels, den Sprachgebrauch: «man sagt, etwas
ist. . .». Das «Gebräuchliche» ist nicht der Terminus καθ’ αύτο είναι, sondern
είναι, dessen Bedeutung in diesem Fall Aristoteles als das καθ’ αύτο είναι
erklärt.
Ferner, όσα ist nicht Subjekt, sondern Objekt von σημαίνει. Dies gegen
Brentano (siehe oben S. 16). Subjekt sind «die Formen der Kategorie»,
κατηγορία ist das Zusagen eines Seienden; das Seiende «bezeichnet» je ein
Was, ein Wie etc. — man vergleiche Δ 28 (1024 b 13), E 2 (1026 a 36). Dies
je «Bezeichnete» ist natürlich, wenn man so will, wiederum eine der «Kate-
gorien», aber eben deshalb, weil die Formen der Kategorie das in ihnen
Zugesagte «bezeichnen». Das ergibt sich auch zwingend aus sachlichen Grün-
den: denn όσα meint die begrenzte Zahl der Bedeutungen von sezzz, die durch
die Bedeutungen der Kategorien bestimmt ist; während das Seiende, das
«Kategorien bedeuten» würde, alles Seiende und also unendlich wäre. Der
Relativsatz heißt also: «Sovielerlei die Formen der Kategorie bezeichnen
(nämlich achterlei)».
Ich übersetze demnach: «Ein Sein an sich (d. h. aus sich selbst heraus und
aufgrund des eigenen Wesens) wird mit ebenso vielerlei gesagt, als die For-
men der Kategorie bedeuten: denn in wievielerlei Weise sie ausgesagt werden,
ebenso vielerlei Bedeutungen hat sein». Dasselbe kann auch so gewendet
werden: «Als ein Seiendes an sich und gemäß dem Wesen kann alles das
ausgesagt werden, was die Formen der Kategorie bedeuten» usw. Das heißt:
An sich sein gibt es in allen Formen der kategorialen Aussage. Es handelt
sich also bei καθ’ αύτα είναι λεγεται um keinen sogenannten absoluten
Gebrauch von sein, sondern um Prädikationen.
Was Aristoteles im Auge hat, ist, daß in ζωον ό Καλλιας, oder άρρεν το
ζωον, oder ζη ό άνθρωπος, ein anderes Sein ausgesagt ist als in Καλλιας λευκός:
das eine ist (oder tut) er καθ’ αύτον, das andere κατα συμβεβηκος (vgl.
 
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