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Hölscher, Uvo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 3. Abhandlung): Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie: vorgetragen am 6. Februar 1971 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45460#0032
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Uvo Hölscher

Weiß also nicht-seiend; und zwar nicht in dem Sinne, daß es «etwas nicht
ist», sondern ganz und gar nicht-seiend. Also ist das Wesentlich-Seiende
nicht-seiend. Denn es sollte ja wahr sein, daß es «Weiß» ist; dies aber
bezeichnete (wie sich herausgestellt hat) ein Nicht-seiendes.
Demnach muß auch das Weiß ein Wesentlich-Seiendes bezeichnen. Und also
bezeichnet «seiend» eine Mannigfaltigkeit.
Der ganze Gegenbeweis des Aristoteles läuft — wie es in der Physik nicht
anders sein kann — darauf hinaus, daß es, auch unter der falschen Voraus-
setzung des Parmenides, eine Vielheit gibt — nicht die Vielheit der Bedeu-
tungen von sein, sondern die Vielheit der Dinge. Das Verwirrende besteht
zunächst darin, daß απλώς το δν λεγεσθαι λεγομένου πολλαχως scheinbar
dasselbe besagt wie το όν σημαινειν έν — πολλά το δν σημαίνει. Das ist aber
nicht der Fall: der letztere Ausdruck meint nicht — wie der erste — die
«verschiedenen Bedeutungen von sein» (so Ross), er bedeutet, daß «seiend» —
ebenso wie «weiß» — obschon Eines und dasselbe bezeichnend, gleichwohl eine
Mannigfaltigkeit von Gegenständen bezeichnen kann. Parmenides hatte ge-
meint, daß aus der Einheit des Seins die Einheit des Gegenstands folge:
weil er zwischen den Seinsweisen des Substrats und seiner Bestimmung nicht
zu unterscheiden wußte. Dieses Substrat präzisiert Aristoteles, dem falschen
Ansatz des Parmenides folgend — als das δπερ δν και δπερ έν: ein Seiendes,
dessen ganzes Was und Wesen in seinem Seiend-sein und Eines-sein bestünde —
ein Unding, welches, wie Aristoteles aus der Unterscheidung von Substrat
und Bestimmung nachweist, überhaupt nicht etwas sein, und also auch nicht
seiend sein kann.
Es zeigt sich hieraus, daß die «vielerlei» Seinsweisen, die Parmenides nicht
zu unterscheiden gewußt hat, nicht die zwei der Existenz und der Prädikation
sind, sondern das Sein der Substanz und der übrigen Kategorien. Das heißt,
er hat überhaupt noch nicht verstanden, daß das Sein ein kategoriales Sein ist.
Man kann nun für das einfache Sein des Parmenides überall (wie Ross das
tat) den Begriff der Existenz einsetzen; man könnte die «wesenhafte Seins-
bestimmtheit», die das δπερ δν bedeutet, in seiner Existenz suchen — bei
Aristoteles findet sich eine solche Bestimmung nicht. Das δπερ δν, auf das
Seiende schlechthin bezogen, meint vielmehr, nach aristotelischer Termino-
logie, das «Es selber sein» des Seienden; es zielt also auf die ουσία, oder die
Essenz.
 
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