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Hölscher, Uvo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 3. Abhandlung): Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie: vorgetragen am 6. Februar 1971 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45460#0033
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31

VIII
Versucht man, den aristotelischen Sinn von sein andeutend zu umreißen,
so ist aus dem Dargelegten dreierlei festzuhalten: Erstens, es ist durchaus
das kategoriale Sein der Prädikation; zweitens, es ist trotzdem nicht Kopula
im Sinn der logischen Verknüpfung, sondern die Zwiefältigkeit eines Einen;
drittens, es ist ein substantiales Sein, das heißt: die Entscheidung, welchem
Element der kategorialen Aussage das Sein zukommt, fällt, ungeachtet seiner
Subjekts- oder Prädikatsfunktion, in jedem Fall für die Substanz.
Die Beziehung des Seins auf die ουσία, nicht mehr auf die Prädikation,
war ein notwendiger Schritt, nachdem das Sein der Qualitäten als Ideen
sich nicht mehr halten ließ. Είδη μεν ούν είναι . . . ούκ άναγκη, . . . είναι μεντοι
εν κατα πολλών αληθές είπειν άναγκη (Anal. post. I 11, 77 a 5).
Was man als Widerspruch zwischen der logischen und der ontologischen
Interpretation des Seienden empfindet, reduziert sich auf diesen Vorgang:
Wenn das Sein ontologisch gerettet werden sollte, mußte es auf die ουσία
beschränkt werden — und gleichzeitig das Sein der Attribute zu einem Sein
von abgeleiteter Art werden. Beides konvergierte in dem Gedanken der
κατηγορία.
Aber die Entscheidung für die Substanz war alles andere als selbst-
verständlich. Wir erkennen es noch aus Aristoteles selber: aus der Bemühtheit,
mit der er die nachgeordneten Kategorien — der Qualität usw. — wie auch
ihre Negationen als όντα sekundärer Art erklärt (Λ 1, 1069 a 21—24).
Das Gegebene war demnach eine Denkweise, nach der das Ausgesagte —
das «Prädikat» — ein Seiendes ist: das Weiße, das Große usw. Nicht daß der
Gegenstand, das Subjekt der Aussage, nicht auch als Seiendes gegolten hätte;
aber Subjekt und Prädikat waren, weil der Begriff der Kopula fehlte, nicht
ins Bewußtsein getreten, und der Begriff des Seins verband sich primär
mit dem Prädikat. Ich hoffe das an Platon zu zeigen.
Allerdings müßte alles, was bis hierher für Aristoteles nachgewiesen wurde,
ein Irrtum sein, wenn es zuträfe, daß bereits Platon die Kopula als solche
erkannt hat. Es geht um den Sophistes. Zu der Diskussion um die Bedeu-
tungen von sein in der dort entwickelten Dialektik der «obersten Gattungen»
hat Cornford den Anstoß gegeben, mit der Behauptung, daß in dieser
Dialektik die kopulative Bedeutung von sein keinen Platz habe. (Plato’s
Theory of Knowledge, S. 257 ff.). Um so entschiedener vertrat er die These,
daß Platon zwei andere Bedeutungen unterscheide, die des existentialen
und des identifizierenden Seins.
Ihm hat Ackrill widersprochen und kräftig für die Kopula als die
erste unter dreien von Platon unterschiedenen Bedeutungen votiert.
Diese Kontroverse leidet an einem methodischen Fehler. Man setzt voraus,
im Besitz der Begriffe und Unterscheidungen zu sein, die Platon an ver-
schiedenen Stellen mit der Verwendung des Wortes έστιν im Auge hatte.
Es ist natürlich vollkommen berechtigt, solche Unterschiede, selbst an hoch-
 
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