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Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie
Stellen wie 249 b 2, 250 a 10, 254 d 10 berufen kann («beide, Bewegung wie
Ruhe, sind»). Indem Platon die scheinbar widersprechenden Aussagen als
gleichermaßen wahr nebeneinander stellt, würde er auf die verschiedenen
Bedeutungen von ist hinweisen.
Nun ist es zwar deutlich, daß 256 a 1: «sie ist durch Teilhabe am Seien-
den», auf 250 b 9 zurückgreift, wo zum ersten Mal das Sein der Bewegung
(und der Ruhe) als «Teilhabe am Sein» erklärt wird. Doch dient es jetzt
im Zusammenhang, um das erste ist in «. . . ist verschieden» zu erklären. Nicht
anders wird ja das Nicht-sein der Bewegung aus «. . . ist nicht Ruhe» ent-
nommen (255 e 14, vgl. 256 d 8). Und wieder weist Platon mit keinem
Wort darauf hin, daß es etwas anderes sei, zu sagen: «sie ist»: oder «sie
ist das und das». Tatsächlich muß es, in dieser Argumentation, Platon alles
darauf ankommen, einen einzigen Begriff des Seienden, und diesen im
strengsten Sinn, nämlich als Form, durchzuhalten und seine Beziehungen
zu den anderen Formen, vor allem den Widerspruch zwischen sein und
nicht-sein, durch die Teilhabe an verschiedenen Formen zu erklären (256 a 1,
b 2, d 9, e 3).
Daß Platon das existentiale sein vom kopulativen unterschieden hätte,
hat darum Manfred Frede mit Recht bestritten (Prädikation und Existenz-
aussage — Platons Gebrauch von «... ist ...» und «... ist nicht ...» im
Sophistes, Hypomnemata 18, 1967, Seite 40—59); mit Gründen allerdings,
die es zu prüfen gilt. Er gründet es nämlich auf eine Interpretation der
vielumstrittenen Stelle 255 c 12—d 4, aus der er Platons Unterscheidung
nicht zweier Bedeutungen, wohl aber zweier Verwendungen von ist ent-
nimmt, beide «kopulativ» — oder «relativ» — doch die eine auf Prädikation
von Formen (ε’ιδη), die andere von Einzeldingen zielend (Seite 12—36). Ich
muß darauf eingehen, nicht nur weil Fredes Buch die strengste und syste-
matischste Untersuchung des platonischen Seinsbegriffes ist, sondern weil ich
aus derselben Stelle andere Folgerungen ziehe.
Die Passage steht im Zusammenhang der Unterscheidung der «obersten
Gattungen». Bewegung, Ruhe und das Seiende sind festgestellt, das Selbige
wurde als viertes, vom Seienden zu unterscheidendes hinzugewonnen, das
Verschiedene (θατερον) steht zur Frage:
Άλλ’ οίμαι σε συγχωρειν των όντων τα μεν αύτα καθ’ αύτα,
τα δε προς άλλα άει λεγεσθαι;
Τι δ’ ού;
Το δε γ’ έτερον άει προς έτερον· ή γαρ;
Ούτως.
Daraus wird der Schluß gezogen, daß das Verschiedene vom Seienden zu
unterscheiden ist; denn während das Seiende «an beiden Formen teilhat»,
gehört das Verschiedene ausschließlich und notwendig zur letzteren. Damit
ist das Verschiedene als das fünfte und letzte «Genos» gewonnen, das zur
Bestimmung des Nichtseienden führen wird.
Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie
Stellen wie 249 b 2, 250 a 10, 254 d 10 berufen kann («beide, Bewegung wie
Ruhe, sind»). Indem Platon die scheinbar widersprechenden Aussagen als
gleichermaßen wahr nebeneinander stellt, würde er auf die verschiedenen
Bedeutungen von ist hinweisen.
Nun ist es zwar deutlich, daß 256 a 1: «sie ist durch Teilhabe am Seien-
den», auf 250 b 9 zurückgreift, wo zum ersten Mal das Sein der Bewegung
(und der Ruhe) als «Teilhabe am Sein» erklärt wird. Doch dient es jetzt
im Zusammenhang, um das erste ist in «. . . ist verschieden» zu erklären. Nicht
anders wird ja das Nicht-sein der Bewegung aus «. . . ist nicht Ruhe» ent-
nommen (255 e 14, vgl. 256 d 8). Und wieder weist Platon mit keinem
Wort darauf hin, daß es etwas anderes sei, zu sagen: «sie ist»: oder «sie
ist das und das». Tatsächlich muß es, in dieser Argumentation, Platon alles
darauf ankommen, einen einzigen Begriff des Seienden, und diesen im
strengsten Sinn, nämlich als Form, durchzuhalten und seine Beziehungen
zu den anderen Formen, vor allem den Widerspruch zwischen sein und
nicht-sein, durch die Teilhabe an verschiedenen Formen zu erklären (256 a 1,
b 2, d 9, e 3).
Daß Platon das existentiale sein vom kopulativen unterschieden hätte,
hat darum Manfred Frede mit Recht bestritten (Prädikation und Existenz-
aussage — Platons Gebrauch von «... ist ...» und «... ist nicht ...» im
Sophistes, Hypomnemata 18, 1967, Seite 40—59); mit Gründen allerdings,
die es zu prüfen gilt. Er gründet es nämlich auf eine Interpretation der
vielumstrittenen Stelle 255 c 12—d 4, aus der er Platons Unterscheidung
nicht zweier Bedeutungen, wohl aber zweier Verwendungen von ist ent-
nimmt, beide «kopulativ» — oder «relativ» — doch die eine auf Prädikation
von Formen (ε’ιδη), die andere von Einzeldingen zielend (Seite 12—36). Ich
muß darauf eingehen, nicht nur weil Fredes Buch die strengste und syste-
matischste Untersuchung des platonischen Seinsbegriffes ist, sondern weil ich
aus derselben Stelle andere Folgerungen ziehe.
Die Passage steht im Zusammenhang der Unterscheidung der «obersten
Gattungen». Bewegung, Ruhe und das Seiende sind festgestellt, das Selbige
wurde als viertes, vom Seienden zu unterscheidendes hinzugewonnen, das
Verschiedene (θατερον) steht zur Frage:
Άλλ’ οίμαι σε συγχωρειν των όντων τα μεν αύτα καθ’ αύτα,
τα δε προς άλλα άει λεγεσθαι;
Τι δ’ ού;
Το δε γ’ έτερον άει προς έτερον· ή γαρ;
Ούτως.
Daraus wird der Schluß gezogen, daß das Verschiedene vom Seienden zu
unterscheiden ist; denn während das Seiende «an beiden Formen teilhat»,
gehört das Verschiedene ausschließlich und notwendig zur letzteren. Damit
ist das Verschiedene als das fünfte und letzte «Genos» gewonnen, das zur
Bestimmung des Nichtseienden führen wird.