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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 2. Abhandlung): Bocksbeutel und Aryballos: philologischer Beitrag zur Urgeschichte einer Gefäßform ; vorgetr. am 9. Juli 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.45468#0011
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Bocksbeutel und Aryballos

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nähme des Niederdeutschen kaum möglich ist (<Booksbüdel>) und schon
deshalb im mainfränkischen Raum Bedenken erregen muß. Zur Be-
kräftigung hat man gleich eine weinselige Legende hinzu erfunden, die
daran anknüpft, daß in der Tat früher Gebetbücher hergestellt worden
sind, deren Ledereinband über die Buchdeckel hinausragte und in einem
Beutel endigte, der — durch einen Riemen zusammengeschnürt — wie
eine Handtasche getragen werden konnte. Die Nonnen von Benedik-
tinerinnenklöstern in Ochsenfurt und Kitzingen seien nun auf die
schlaue Idee gekommen, sich von ihren Knechten beim Gottesdienst
statt dieser Buchbeutel weingefüllte lederüberzogene Flaschen von ent-
sprechender Form haben nachtragen zu lassen, denen dann der Name
<Buchsbeutel>, später <Bocksbeutel> verblieben sei9. Ein fränkischer Poet
neuerer Zeit und von bescheidenem Zuschnitt namens Rückert (nicht
Rückert also) hat die Sage sogar in dichterische Form gegossen10.
So wenig die Herleitung unseres <Bocksbeutels> vom niederdeutschen
Booksbüdel = Buchbeutel überzeugen kann, so sicher stammt die da
und dort auch im oberdeutschen Sprachgebrauch sich findende Metapher
<Bocksbeutel> für <Schlendrian> und <steifbewahrter Brauch> aus diesem
Bereich, wie es schon im Jahr 1684 als hamburgisches Scherzwort belegt
ist; denn der fortdauernde Gebrauch des Buchbeutels durch die
frommen Frauen galt als Kennzeichen für ihr zähes Festhalten am
Herkömmlichen11. Der davon abgeleiteten <Bocksbeutelei> für «ver-
kalkte Starrheit» erteilt Goethe einmal in den <Wanderjahren>
(25 I 222, 27) eine scharfe Zensur12. Daneben muß er jedoch unseren
fränkischen Bocksbeutel gekannt und geschätzt haben; denn in seiner

9 Jung 34.
10 Kittel 37.
11 Kluge-Götze, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache16 1953, S. 90;
Paul-Betz, Deutsches Wörterbuch5 1966, S. 107. Vgl. schon R. Pekrun, Das Deut-
sche Wort . . . 1933, S. 168, wo außer dem <Bocksbeutel> (= Buchbeutel) im Sinne
von «althergebrachter Schlendrian» auch die <Bocksbeutelei> als «gemächliches
Wesen» und das Adj. <bocksbeutelig> als <schlendernd, gemächlich) interpretiert
wird. Auch bereits Erseh und Gruber’s Allgemeine Encyclopädie, Bd. 11. 1823,
S. 129 weiß unter den Stichworten <Bocksbeutel, Bocksbeuteleien» von der durch
diese Bezeichnungen ausgedrückten abwertenden Charakterisierung zu berichten,
wobei sie für den Ursprung der Benennung eine hamburgische Anekdote bemüht,
die dort nicht an Gebetbücher, sondern an Statutensammlungen anknüpft, selbst-
verständlich ohne die Verbindung mit dem auf den Wein bezogenen fränkischen
<Bocksbeutel>, den der Verfasser des Artikels («H.») garnicht zu kennen scheint.
12 Paul-Betz a. O.
 
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